gelesen – Aus der Schachwelt

Und heute mal was ganz anderes.

Es war 1996 da schlug Deep Blue Garry Kasparov. Das erste mal gewann damit ein Computer gegen einen amtierenden Schachweltmeister. Mensch gegen Maschine. Ein Moment in der Geschichte.

Damit begann die Zeit der Schachcomputer. Und der Spieß begann sich umzudrehen. Zuerst hatten die Computer von den Menschen gelernt, dann die Menschen von den Computern.
Das Ergebnis war, so liest man, langweilig.
Denn Computer spielen nicht intuitiv, sie rechnen voraus und wählen dann den perfekten Zug aus. Das führt dazu, dass, wenn beide Seiten immer perfekt ziehen, keiner gewinnt.
Irgendwie logisch also, dass seit einer geraumen Weile Unentschieden die neue Normalität in Schachturnieren geworden sind. Denn die Schachspieler von heute haben von Computern gelernt. Sie lesen zwar immer noch die Bücher und analysieren alte Spiele, aber sie haben eben auch ihr ganzes Leben lang schon gegen Computer gespielt. Und somit sind die Besten unter ihnen imstande ein nahezu perfektes Schach zu spielen.

Nun ist aber ein Unentschieden so eine Sache. Das Publikum verträgt nur eine gewisse Anzahl von ihnen. Stellt euch das Feedback der Fans vor, gingen die Hälfte der Spiele oder mehr in einer Fussball-WM unentschieden aus.
Wäääähhh!
Nicht sehr sexy.

Schach ist eben auch nur ein Spiel, ein Sport und es hatte, so liest man, eine eigene Ästhetik. Jeder Spieler hatte seine Kunst im Spiel. So wie Messi oder .. sucht euch einen Fussballer aus. Es gibt berühmtgewordene, „schöne“ Züge; Bobby Fisher hat in einem Spiel Ende der 50er Jahre seine Dame geopfert. Noch heute reden die Leute davon.

Und dann das.
Lauter Unentschieden.

Dazu kommt, dass Schach sich zur Zeit sehr großer Beliebtheit erfreut. Da ist zum einen die Pandemie, die uns alle zu Hause festsetzt und da ist zum anderen Netflix mit seiner äußerst beliebten (und sehr guten) Miniserie „The Queens Gambit“ (Schaut euch das an!).
Millionen Menschen spielen Schach. Sie spielen online, sie spielen gegeneinander, am Handy, in der U-Bahn. Es gibt Schach und Apps in allen Variationen. Es gibt live Streams zum Zuschauen, wenn einer der Top Ten der Welt irgendwo spielt. Und es scheint, als schauen dabei tatsächlich richtig richtig viele Menschen zu.

Schach gibt es also in viele Variationen. Das 1500 Jahre alte Spiel ist immer noch in aller Munde.
Ganz oben im Schachiversum leben die Profischachspieler. Jene, die antreten und mehr oder weniger fehlerfrei zu spielen imstande sind. Der beste Spieler der Welt ist seit 2013 Magnus Carlsen.
Das Schach der Großen wirkte aber in den letzten Jahren zäh und eben ziemlich unsexy. Kein risikoreiches Spiel mit überraschender Wendung mehr. Der Gegner würde einem eiskalt mit einer Reihe perfekter Züge den König klauen. Es wurde nicht laut ausgesprochen, aber die Angst war da: Wird das klassische Format im Schach altmodisch?

Und dann kam Dubai 2021. Die Weltmeisterschaft von 2020 war wegen der Pandemie verschoben worden. Im Schach läuft das so ab, dass der Gegner des amtierenden Weltmeisters in einem Kandidatenturnier, das Monate vorher stattfindet, ermittelt wird. Der Sieger daraus tritt dann gegen den Weltmeister an. Gespielt wird auf „Best of 14“.
Kein Turnier wie im Fussball. Mehr so wie beim Boxen, also.

Der Gegner hieß Jan Nepomniaschtschi (wunderbarer Name, lest ihn euch ruhig laut vor. Ein Traum!). Er ist derselbe Jahrgang wie Magnus Carlsen und ist einer der wenige mit einer positiven Bilanz gegen ihn. Die Nummer 5 der Welt. Russe.

Und die ersten 5 Spiele gingen – TaTa TAAA! –  unentschieden aus. Computeranalysen der Spiele zeigten, dass noch nie Menschen so fehlerfrei und perfekt gegeneinander gespielt hatten.
Na super.
Und dann kam Spiel 6. 40 Züge lang passierte nicht viel und dann – und das ist jetzt bitte eine schachlaienhafte Interpretation – wagte Magnus einen Zug, der einen Tick nicht der Beste war. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann hat er ab diesem Zug stets mit dem Rücken zur Wand sich einen Pfad entlang geschoben, der eben nicht 100% ideal war. Das Spiel war einen Hauch offener und zwar, so habe ich es verstanden, sehr wohl für den Gegner. Magnus nahm das Spiel in die Hand indem er nicht ganz perfekt spielte. Dadurch wurde das Spiel lang. Und immer länger.
Im nachhinein sagte er, dass das Spiel durch die Zeit entschieden werden sollte. In „The Queens Gambit“ gibt es Pausen für die Spieler, wenn sie erschöpft sind. Aber das gibt es seit 1990 tatsächlich nicht mehr.
Sprich, Magnus Carlsen legte es darauf an, die psychische und die physischen Grenzen der Spieler herauszufordern.
Am Ende wurde es das längste jemals gespielte Weltmeisterschaftsspiel. 7 Stunden und 45 Minuten. 136 Züge. Jan Nepomniaschtschi war dann der, der den Fehler beging. (irgendwas mit der Dame ..)
Und nach 5 Jahren gab es das erste eindeutig gewonnene Weltmeisterschaftsspiel.

Danach waren beide Spieler völlig erschöpft. Nur Carlsen hatte jetzt einen psychologischen Vorteil, der, so stellte sich in den folgenden Spielen rasch heraus, beträchtlich war. Jan Nepomniaschtschi (i love it) ging nämlich völlig ein und machte Fehler, die seines Könnens unwürdig waren.
Magnus Carlsen blieb Weltmeister.

Aber ein wenig scheint das alles egal zu sein. Weil das 6. Spiel war eines, das in die Geschichte eingeht und all die kleinen Handyappspieler wissen jetzt wieder, dass es das Oben im Schachiversum noch gibt. Sie gewinnen noch. Die Meister
Die Schachwelt ist glücklich.

zunächst mal gehört hier:
Podcast The Guardian: How Magnus Carlsen won chess back from the machines
und dann habe ich ein wenig online nachgelesen
chess.com