Am 5. Oktober saß sie vor einem Ausschuß des US-Senats, Frances Haugen. Eine ehemalige Facebook Mitarbeiterin, die tausende Seiten an Dokumenten veröffentlicht hat, die ihren ehemaligen Arbeitgeber ziemlich mies aussehen lassen.
Was hat Frances Haugen jetzt also alles erzählt?
Ich fasse das heute für euch zusammen und warne kurz vor .. es wird vermutlich eher lang. Seufz.
Grob zusammengefaßt kann man sagen, dass Facebook und da vor allem Mark Zuckerberg sehr wohl genau wissen welchen Schaden ihre Firma weltweit verursachen kann. Die Themen reichen von „Spaltung der Gesellschaft“ und „Gefährdung von Demokratien“ über „Mentale und körperliche Gesundheit von Jugendlichen“ bis hin zum Thema „Gewalt“.
Sie wissen auch, was sie dagegen tun können. Und tun das dann ganz bewußt nicht, weil das Firmenwachstum und die Einnahmen darunter leiden. Das hat Miss Haugen dargelegt.
Wie ist das möglich? Wie funktioniert das?
Menschen funktionieren so, dass sie, wenn sie aufgebracht sind, leichter dazu zu überreden sind, weitere Aktionen – in diesem Fall Klicks – zu setzen. Eine nette aber belanglose Meldung werde ich zwar wahrnehmen, ich werde sie aber auch gleich wieder vergessen. Klicken werde ich ziemlich sicher nicht.
Ist das Posting aber eines, das mich aufregt, dann werde ich womöglich liken oder kommentieren, vielleicht auch teilen. Was unweigerlich dazu führt, dass ich länger auf der Seite bin.
Für Facebook und Instagram bedeutet das, dass sie mir noch etwas Werbung unter die Nase halten können … und sie also Geld mit mir verdienen.
Die Zeit der Menschen ist das Produkt, das Facebook verkauft. Und Leute, die aufgeregt sind, sind sehr viel länger verfügbar.
Also, an sich ja völlig logisch muss man die Menschen aufregen. Und Posts, die die Leute aufregen sind somit als geschäftsfördernd anzusehen und bevorzugt zu behandeln.
Das nennt man „Engagement-based-ranking“, übersetzt soviel wie „Reihenfolge nach interaktionauslösender Kapazität“. Was bedeutet, in meinem Feed scheinen also jene Sachen zuerst auf, die mich aufregen könnten. Weil, dann bleib’ ich dran, dann scrolle ich weiter, interagiere und das bedeutet eben, ich produziere Einnahmen für Facebook.
Nun ist es aber so, dass dieses Aufregen eine Spirale ist. Irgendwann rege ich mich nicht mehr auf über Wahlen, die angeblich nicht korrekt abgelaufen sind. Nein, da brauche ich dann … kinderessende Demokraten, oder so. Kein Scherz. Es ist eine Eskalationsspirale, die notwendig ist, damit ich dran bleibe und damit Facebook weiterhin Geld mit mir machen kann.
Dass ich mich damit radikalisiere, ist ein „Nebeneffekt“.
Das funktioniert politisch, das funktioniert aber auch … und das regt den Kongress und seine Senatoren besonders auf … mit Kindern.
Miss Haugen hat ausgesagt, dass Facebook genau weiß, dass junge Mädchen auf Instagram Gefahr laufen, magersüchtig zu werden, oder depressiv und in Selbstzweifel versinken. Weil der Algorythmus eben immer eskalierend funktioniert. Sie hat auch bestätigt, dass diese jungen Menschen gezielt angesprochen werden und dass ihnen gezielt genau jene Posts angezeigt werden, die sie in die Spirale locken sollen.
Das ist gut fürs Geschäft.
Generell, und es schmerzt das zu sagen, mag Facebook vulnerable Personen. Menschen, die in Ausnahmesituationen sind, denn diese sind leichter aufzuregen. Somit werden Leute gezielt getargetet, die frisch verwitwet sind oder solche, die gerade in eine neue Stadt gezogen sind und damit das Risiko tragen deutlich weniger soziale Kontakte zu haben. Und eben Jugendliche.
Facebook und seine Mitarbeiter wissen von diesen Auswirkungen und unternehmen nichts dagegen. Mehrfach hatten Mitarbeiter, so die Aussage der Whistleblowerin, in Studien festgestellt, dass Facebook
jugendliche User gefährdet und mehrfach wurden diese aufgebrachten
Bedenken zur Seite geschoben. Ganz im Gegenteil, laut Miss Haugen ist jener Faktor, jenes „Engagement-based-ranking“ ein Faktor, der in die Boniberechnung der Mitarbeiter einfließt.
Als die Senatoren genau das nachfragten, gaben die anwesenden Vertreter von Facebook im Hearing keine Antwort.
Anmerkung: Den Senat bei einem Hearing zu belügen, ist eine Straftat. Man kann dafür also ins Gefängnis gehen. Die Nicht-Beantwortung der Frage läßt also tief blicken.
In diesem Zusammenhang erwähnte Miss Haugen noch, dass die Eltern von Jugendlichen heute gar nicht einzuschätzen vermögen in welcherlei Hinsicht die sozialen Netzwerke für ihre Kinder gefährlich sein können. Da die Eltern selber ja ohne solche Verführungsmethoden aufgewachsen seien, ist es ihnen nicht möglich zu erkennen, dass sie ihre Kinder oftmals völlig ungeschützt in eine Falle laufen lassen.
In einem weiteren Thema ging es um die Demokratie und um das Spalten der Gesellschaft. Es ist ja mittlerweile bekannt, dass, wenn man sich hauptsächlich über Facebook informiert, man durch die Algorythmen in eine politische Ecke hin radikalisiert wird. (siehe oben)
Das war in der Wahl 2016 in den USA erkennbar und als dann im letzten Jahr klar war, dass die amerikanische Bevölkerung gespaltener denn je, das perfekte „Opfer“ für eine weitere Intervention durch Russland und andere Akteure abgeben würde, als klar war, dass Facebook eine wesentliche Rolle spielte um die Wahl friedlich ablaufen zu lassen, da setzte Facebook einiges daran den Ton online gemäßigter zu halten.
Sprich es gab mehr Manpower um die Situation online im Griff zu behalten. Das Engagement-based-ranking wurde abgesetzt. Zumindest in den USA. Accounts, die eindeutig destruktiv unterwegs waren, wurden gelöscht oder gesperrt.
Die Wahl selber ging über die Bühne, der Wahltag verlief friedlich.
Facebook, so Miss Haugen, klopfte sich auf die Schulter und drehte den ganz normalen Facebook-Wahnsinn am Tag darauf wieder an. Also genau zu dem Zeitpunkt, als die republikanische Partei anfing die Wahl für „gestohlen“ zu erklären.
Es folgte: der Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner.
Diese Sicherheitsvorkehrungen, die während des Wahlkampfes bei Facebook galten, gibt es so aber nicht ständig und vor allem nicht überall. Laut Miss Haugen spielt die Sprache eine große Rolle. Und für viele Sprachen gibt es schlicht überhaupt keine Kontrolle, kein Team, das Aufsicht übt. Sie behauptet sogar, dass die ethnischen Unruhen in Äthiopien zu einem beträchtlichen Teil in der Verantwortung von Facebook zu liegen kommen. Denn wer in Äthiopien (und vielen weiteren Ländern Afrikas) ins Internet geht, geht auf Facebook. Das Internet IST dort Facebook.
Und Facebook tut, was es am besten kann: Geld damit machen, dass Menschen gereizt vor dem Bildschirm kleben bleiben.
Mehr oder weniger gesamt Afrika wird dem Algorythmus einfach ungeschützt ausgesetzt.
Und noch etwas hat Miss Haugen erwähnt, das den politischen Vertretern im Senat gar nicht geschmeckt hat: Sie war zuletzt persönlich in der Spionageabwehr auf Facebook tätig. Denn es wird reichlich spioniert auf den sozialen Netzwerken. Und zwar nicht nur von den USA. Nein, vor allem China und Russland, so Haugen, sind sehr aktiv.
Und sie bestätigte in ihrer Aussage, dass sie nur in etwa ein Drittel der gemeldeten Vorfälle hat bearbeiten können. Dass also der größte Teil von – wohlgemerkt nur – den gemeldeten Fällen gar nicht bearbeitet werden konnte/kann, weil da einfach nicht genug Personal ist.
Der wirklich unangebrachte Teil daran ist aber der, dass Facebook die Regierung, den Kongress oder wenauchimmer NICHT darüber informiert hat. Sie haben also niemandem gesagt, dass da Hunderte vielleicht Tausende Fälle von Spionageverdacht unbearbeitet bei ihnen herumliegen.
Das kommt so gar nicht gut an und wird unweigerlich ein Nachspiel bzw. ein weiteres Hearing zur Folge haben. Da verstehen die amerikanischen Geheimdienste gar keinen Spaß. Das war in der Berichterstattung ganz schnell klar.
An dieser Stelle erwähne ich kurz folgendes: Die Einnahmen des Konzerns beliefen sich im letzten Quartal (nicht des ganzen Jahres .. Quartals, bitteschön) auf 30 Milliarden Dollar.
Auf den verschiedenen Portalen (Facebook, Instagram und Whatsapp) tummeln sich 3,5 Milliarden User.
Was wird geschehen?
Nun, vermutlich wird Facebook Miss Haugen verklagen. Sie hat die Unterlagen an die Washington Post weitergegeben und das könnten sie als Vorwand benutzen um an ihr ein Exempel zu statuieren. Der Kongress könnte sie davor beschützen. Mal schauen.
Weitere Hearings werden einberufen werden. Nicht nur wird Miss Haugen wohl noch mehrmals befragt werden, auch Mark Zuckerberg wird wohl – wieder einmal – vorgeladen werden.
Die Gerüchte, dass die amerikanische Regierung (und zwar egal welcher Farbe) den Konzern aufsplitten könnte, werden immer lauter. Immerhin haben die Vereinigten Staaten sowas schon mehrfach gemacht (Standard Oil 1911, AT&T 1984).
Es geht also weiter.
Was sollte man daraus mitnehmen. Facebook, Instagram und Whatsapp nicht leichtfertig verwenden. Wenn möglich Alternativen finden. Und: habt ein Auge auf eure Kinder. Wie?
Keine Ahnung. Das muss jeder für sich herausfinden, aber solo sollte man die jungen Menschen nicht in diesen Teich voller Haie werfen. Das steht fest.
gelesen:
im Live Feed der Washington Post zum Senats-Hearing
The Daily – Podcast der NYT: The Facebook Whistle-Blower Testifies