Kinder und Internet – Teil 6

Ganz allgemein kann man sagen, dass das Internet Fluch und Segen gleichzeitig ist. Zum einen hatten wir noch nie Zugang zu so viel Information und Services. Es ist heute in Europa praktisch jedem Menschen möglich kostenlos (mal abgesehen von den Kosten für einen Computer/Handy und der für einen Internetzugang) an Information aller Art zu kommen.

Das Internet bzw. die Anzahl der Seiten darin ist so enorm, dass es uns mittlerweile unmöglich ist einen echten Überblick darüber zu haben. Ich nehme mal an, dass die Einzigen, die tatsächlich alles wissen, die Computer von Google sind.

Denn sie klappern mittels kleiner Programme (crawler genannt) mehrmals am Tag das gesamte Netz ab. Das gesamte Netz! Google speichert alles aus dem Netz ab. Alles. Das geht soweit, dass, falls ihr eure Seite versehentlich löscht, ihr, naja mit etwas Glück, sie von Google wiederbekommen könntet (den kompletten html-code wohlgemerkt).

Was bedeutet diese unglaublich Fülle denn jetzt für uns. Als User. Als Mama und Papa. Naja, es bedeutet, dass wir in einer Blase leben. Der sogenannten Filterblase.

Letztes mal habe ich es ja zum Thema Algorithmus bereits angedeutet. Wir könnten zwar auf alles im Netz zugreifen, tatsächlich ist dem aber nicht so.

Denn, wenn wir einfach so im Netz unterwegs sind werden wir ausnahmslos die gesamte Zeit bevormundet. Das nennt man die Filterblase!

Klickt ihr auf das obere Bild, dann kommt ihr auf eine, wohl etwas krass formulierte, aber durchaus realistische Erklärung zur Filterblase.

Vorteile der Filterblase:

Ursprünglich war die Idee eine gute!

Suchmaschinen:

Du findest was du suchst, nicht was es zu finden gibtBeispiel:. du suchst einen ganz bestimmten Stoff. Hast diesen neulich schon wo gesehen. Aber vergessen wo oder auch wann. Würde Google deinen Websiteverlauf und dein Verhalten im Netz nicht kennen, wäre die Chance, dass du deinen Stoff findest gleich Null. Es gibt einfach zu viele Stoffe. Deine Blase hilft dir den Stoff zu finden.

Facebook:

Mit wievielen Leuten bist du über Facebook befreundet? Wieviele Seiten hast du geliked? Sagen wir mal 100 und 200 (und es sind vermutlich eher doppelt so viele) Wenn jede Seite, jeder Freund nur einmal am Tag eine Statusmeldung  abgibt, dann hast du 300 Meldungen zu lesen. Erfahrungsgemäß findest du mindestens 150 davon total uninteressant. Deine Blase filtert diese für dich heraus.

Netflix:

Also wenn ich girly-Stimmung habe, dann Cameron Diaz, dann „Love actually“, dann „my big fat greek wedding“ .. wenn ich die aber schon gefühlte 200mal geschaut habe, was dann? Klar, die Blase weiß, was für ein Gefühlsschinken als nächstes auf meiner Liste stehen wird.

– Allgemein:

Gehe ich ins Netz, dann bin ich nicht im Internet per se. Es handelt sich viel mehr um „mein“ Internet. Es fühlt sich tatsächlich ein wenig an wie mein Wohnzimmer. Das ist der Verdienst der Blase.

Nachteile der Filterblase:

Suchmaschinen:

Suchmaschinen sind Suchmaschinen. Das ist nur die halbe Wahrheit. Google ist ein Datensammler in noch niemals dagewesenem Ausmaß. Metternich erbleicht vor Neid. Wer mittels Google sucht und dabei noch in seinem Google Account eingeloggt ist, der läßt sich tief in die Seele blicken. Google macht mit dem Wissen über dich Geld. Durch die Werbung, die geschalten wird. Im letzten Jahr 16.346 Mio Dollar. Nicht Umsatz, Gewinn! (Quelle: Wikipedia)

Ausweg: andere Suchmaschinen (Vorschläge hier) verwenden.  Es gibt Suchmaschinen, die suchen ohne deine Daten zu kennen. Sie machen das ganz bewußt so. Wenn einem die Qualität der Suchergebnisse nicht gefällt, kann man zumindest die Anzahl der Suchen via Google so reduzieren und so sein Datenprofil verwässern.

Facebook:

Bin ich ein „Gutmensch„, dann sind in meiner Timeline lauter Berichte von den Qualen der Flüchtlinge, von der Ungerechtigkeit, der menschliche Katastrophe eben. Bin ich ein „Rassist„, dann türmen sich bei mir Berichte von Asylmissbrauch, Gewalt und der Ungerechtigkeit mir gegenüber. Facebook hat unbestritten dazu beigetragen unseren Demokratien tiefe Risse beizufügen. Schlicht dadurch, dass die Menschen überzeugt sind, sie hätten einen Eindruck von der Wirklichkeit – und das gilt für beide Seiten. Tatsächlich wird ihnen nur gezeigt, worauf sie höchstwahrscheinlich am ehesten klicken. Eine Radikalisierung von Meinungen durch Algorithmen. Menschen können sich ihre – tatsächlich verfälschten – Wahrnehmung nicht so einfach entziehen.

Die Blase in Facebook ist meines Erachtens eine für unsere Staaten sehr gefährliche.

Ausweg: Vermeidet einfach die Timeline. Geht in eure Gruppen und erstellt Listen z.B. eine Liste mit all den Nähbloggern, denen ihr folgt, oder, so wie ich, eine Liste mit den Zeitungen, denen ihr folgt. In der jeweiligen Liste sind dann alle Beiträge aller Seiten oder Freunde, die ihr zu dieser Liste hinzugefügt habt. Kein Algorithmus rechnet da jemanden weg. Wenn wir die 300 Beiträge vom Anfang nehmen, dann sind alle 300 in einer solchen Liste zu sehen, egal ob Gutmensch oder Rassist.

(hier findet ihr wie das geht – Facebook Freunde Liste)

Netflix:

Früher – in meinem vor-den-Kindern-leben – bin ich leidenschaftlich gerne und viel ins Kino gegangen. Leinwand, Popcorn – mein Ding! Ab und zu war ich, damals war das was ganz Neues, in einer Sneak Preview im Apollo. (kurze Erklärung – Sneak Preview: Man ging ins Kino, kaufte sich eine Karte und man wusste nicht, was für ein Film einem gezeigt werden würde. Es war einzig nur klar, dass der Film aktuell noch nicht lief. Meist kam er erst 3-4 Wochen danach tatsächlich in die Kinos) Warum erzähle ich das?

Nun, in der Sneak Preview habe ich ein paar Filme gesehen, die mich vom Hocker gerissen haben, die ich heute liebe, die ich mir aber freiwillig niemals angesehen hätte. No Joke. Niemals.

Die „Leute, die diesen Film sahen, haben sich auch den angeschaut“ – Methode ist schlicht die 100%ige Scheuklappengarantie. Man wird praktisch niemals einen Film sehen, der einem zwar gefiele, der aber nicht in das eigene klassische Beuteschema passt. Eine Erfahrung, ein Bereicherung, die man niemals haben wird.

Die Gefahr, dass der eigene Geist/Intelekt klein bleibt ist enorm.

Ausweg: Filmempfehlungen von Freunden einholen, im DVD Regal derselben stöbern. Ein bißchen Blase ist in Sachen Film durchaus okay, aber glaubt mir. Der frische Wind einer neuen Erzählweise erweitert das Leben.

Allgemein:

Die Filterblase ist ein wenig wie Schokolade. Alles ist einfacher und angenehmer mit Schokolade. Bloß gesund ist es nicht.

Der Mensch läßt sich gerne einlullen, tendiert dazu den leichteren Weg zu gehen. Und, ja leider, dann ist er auch so richtig gut steuerbar. Geistig frisch zu bleiben ist in einer fremdgesteuerten Blase nicht möglich.

Ausweg:

1. man sollte von der Filterblase wissen und sie auch erkennen und anerkennen. Ihre Gefahren und die Schokoladenseite. Das ist der halbe Weg.

2. Wer einmal das Netz ganz ohne Blase erleben will, lädt sich Tor runter. Ein Browser für naja, Nerds und schräge Leute ;-). (kriegt man hier)

Tor verschleiert wer ihr seid. Eure IP-Adresse, euren Standort. Tor warnt vor ungewöhnlicher Cookie-Aktivität und Seiten, die dir, computertechnisch, echt an die Wäsche wollen. Blase gibt es da keine. Amazon weiß nicht wer du bist und zeigt dir auf der Startseite nur sein wichtigstes Projekt – den Kindle, Google sucht einfach mal drauf los (wobei, die haben 100% irgendeinen Algorithmus für „datenlose“ Suchen) und auch sonst stehen alle Seiten vor einem weißen unbeschriebenen Blatt. Durchaus eine Erfahrung.

Loggst du dich allerdings ein, Facebook, Bloglovin etc. dann läßt du deine Maske fallen, zumindest solange du eingeloggt bleibst. 

Aufgrund seiner strengen Privacy-Schutzmaßnahmen gibt es Seiten, die im Tor-Browser nicht voll inhaltlich funktionieren. Nur zur Info. Nicht wundern.

Dauerhaft würde ich den Browser nicht unbedingt verwenden, aber zum Ausprobieren und Erfahrung sammeln .. ist es schon eine gute Sache.

Als Abschluss noch kurz ein paar Worte.

Das Internet hat sich gewandelt, es wandelt sich stetig und zwar schnell und man merkt es immer erst „zu spät“. Es ist kein ungefährlicher Ort, aber, und das ist mir wichtig, „ohne Internet“ halte ich nicht für eine gangbare Alternative.

Für mich ist Information und Verantwortung der Weg, den man gehen muss. Man, wir alle, müssen erkennen, dass „Augen zu und Spaß haben im Internet“ eine verantwortungslose Einstellung ist. Ihr, als Eltern, müsst euch dieser Aufgabe stellen. Ihr müsst euch einen Kopf machen über gewisse Dinge, Einstellungen im Kopf und im Browser ändern, Informationen einholen und jedes mal aufhorchen, wenn ein Thema im Netz heiß diskutiert wird.

Ihr solltet eine Einstellung zu den Dingen haben, eine Meinung, denn, und jetzt kommt’s, wenn ihr achtlos und naiv im Netz herumtappst, dann werden eure Kinder das auch tun. Und was daraus alles noch entstehen kann, ist nicht abschätzbar. Für niemanden.

Das einzig sichere ist, dass das Netz nicht vergißt, und dass ein Kunde, den ich von seiner ersten online-Minute an beobachtet und geführt habe, die Art Vorstellung ist, die den geldgierigen Seiten im Netz feuchte Träume beschert.

Online muss man erwachsen agieren, sonst hat man keine Chance zumindest teilweise selbstbestimmt darin zu agieren.

So, mir raucht jetzt der Schädel. Ich mach‘ jetzt mal gründlich Pause!

Ich hoffe, ihr seht jetzt nicht lauter Sternderln.

Oder Blasen 😉

Mehr aus dieser Serie:

Kinder und Internet – Teil 5 /Algorithmen

Kinder und Internet – Teil 4 / Online Marketing

Kinder und Internet – Teil 3 / Drittanbieter

Kinder und Internet – Teil 2 / Cookies

Kinder und Internet – Teil 1 / Intro

Kinder und Computer