Kleine Übung im Perspektivenwechsel

Habt ihr schon mal eine Meldung aus den Nachrichten komplett umgedreht? So eine Überschrift will ja bewegen. Das tut sie meist indem sie etwas inpliziert, etwas aussagt neben der offensichtlichen Aussage. Diese zweite Aussage ist es meist, die dann aufregt oder bewegt.

Damit spielen die Medien. Manche sehr absichtlich, manche versuchen es zu umgehen, aber das allgemeine gesellschaftliche Bild macht es schwer KEINE komische Zwischenbotschaft mitzusenden.

So geschehen oder so passiert, wie ich meine, dem ORF mit der Meldung, dass der Prozentsatz der Kaiserschnitte auf das Doppelte von 1995 gestiegen ist.

Ich möchte euch das ein bissi auseinanderklavieren, wie ich so etwas lese.

  • Da ist zunächst einmal die Ebene der Fakten: Zahl X für 1995, Zahl Y für 2023. Womit wir schon bei Problem eins sind. Es stehen keine absoluten Zahlen da. Nur Prozentsätze. Und das ist immer schlecht.
    Wir Menschen können nicht gut in Prozentsätzen denken. Das hat die Pandemie mehr als bewiesen. Und die Wissenschaft weiß das auch. Prozentsätze geben aber immer mehr her – vermittlungstechnisch. Und deswegen verwenden alle im Marketing, in den Medien, in der Politik Prozentsätze. Gerne drösl ich euch das mal auf. Aber heute weise ich nur darauf hin.
  • Was mir viel wichtiger erscheint, ist die zweite Botschaft HINTER der Überschrift. Ganz genau kann ich es nicht sagen, aber es ist eindeutig, dass dieser Anstieg nicht gut ist. Für nicht gut gehalten wird. Beinahe lese ich einen Vorwurf raus. So etwas wie: die Frauen verweichlichen.

So. Mir ist wichtig darauf hinzuweisen, dass ich ehrlich glaube, dass der ORF das nicht beabsichtigt – diese zweite Botschaft. Ich will aber darauf hinweisen, dass er es nicht so ausdrücken kann, dass diese Zweitbotschaft NICHT mitschwingt.

Das finde ich urschlimm, urarg. Unsere Sprache, unser Denken lässt eine ganz geradlinige, trockene, durch Zahlen belegte Kommunikation nicht zu.
Faszinierend.

Aber jetzt komme ich zu dem Punkt, den ich eigentlich machen möchte:
Man liest aus dieser Überschrift gerne einen Vorwurf, eine schlechte Entwicklung, ein Brechen mit dem was als das Richtige gilt.

Was, wenn es das nicht ist?
Was, wenn die Zahlen einfach sagen, dass gebären gar nicht so prickelnd ist und dass so ein Kaiserschnitt, die etwas „entspanntere“ Variante ist?
Was, wenn die Kaiserschnitthäufigkeit nicht zunimmt, weil die Frauen älter werden und damit feiger vor dem Schmerz oder körperlich nicht fit genug oder wasauchimmer das heißen soll?
Was, wenn es bedeutet, dass Frauen, wenn sie älter werden selbstbestimmter über ihren Körper sind?
Was, wenn es einfach nur bedeutet, dass dieser Mythos von der „Erfahrung Geburt“ einfach ein Schwachsinn ist und dass die Zahlen nur zeigen, dass mehr Frauen das kapieren?

Wohlgemerkt: all das steckt in dieser Überschrift genauso wie der Vorwurf, den ich vorhin erwähnt habe. Für mich sind all die von mir erwähnten Gedanken auf den ersten Blick aber nicht sichtbar.

Ich lasse euch damit jetzt einfach mal. Dies ist nur eine Anregung. Es ist nur ein Gedankenstrang, den ich teilen will. Womöglich ist das ja bei euch ganz anders.