red – white – red oder „We’re going to Ibiza“

Da ich ja einen beträchtlichen Anteil an Nicht-Österreicherinnen unter meinen Leserinnen weiß, möchte ich euch kurz erzählen, was hier bei uns gerade so politisch abläuft und wie das hier ankommt. Bei mir und ganz nah um mich herum.

Vorab ich wohne ja in der Wieden. Dem 4. Wiener Bezirk. Die Wieden ist klein und politisch links. Links mit ein bißchen konservativ drin. Blau, also FPÖ hat hier keinen Stand.

Aufgrund dieser Lage waren die letzten Jahre für die meisten Menschen hier eine durchgehende Qual. Rauchverbot-Aufhebung (man darf jetzt immer noch rauchen in Lokalen in Österreich, obwohl das Verbot bereits mit Datum beschlossen war), 12 Stunden Arbeitstag bei gleichem Lohn und das ganze „freiwillig“, die „Zusammenlegung“ der Krankenkassen, die real keine ist, die offenen Attacken auf den ORF.  Dazu die beträchtliche Liste an „Einzelfällen“ aus der nationalsozialistischen und schmerzhaft rechtsextremen Ecke, allesamt FPÖ. Da gab’s die Liederbuchaffaire (wenn ihr’s wissen wollt, müßt ihr’s googeln. Ist mir zu widerlich die G’schicht), den Stacheldrahtzaun um ein Asyllager für junge Männer, das „Ausreisezentrum“, das Rattengedicht, die Identitären, der Christchurch-Attentäter und das ist nur, was mir so auf Hopp einfällt. Würde ich recherchieren, … ich will gar nicht daran denken.

Dann machte am Freitag eine Meldung die Runde von Gottfried Küssel, einem verurteilter Nazi, der offen dem Strache drohte. Er meinte, er habe Videomaterial von ihm, dass er noch „aufheben wolle“.

Eine Erpressungankündigung.

Die österreichischen Medien schlugen Alarm. Es wurde windig um den Vizekanzler. Und dann legte sich der Zeiger in die Kurve und es schlug 18:00 Uhr. Der Spiegel und die Süddeutsche veröffentlichten das Ibiza Video.

Und plötzlich stürmte es von einer ganz anderen Seite. Und zwar gewaltig.

Hier standen alle fassungslos und starrten auf ihre Bildschirme. Fassungslos vor so viel offen zur Schau gestellter Machtgier, fassungslos vor so viel … ja, schon auch Dummheit. Man glaubt’s ja nicht, wenn man’s sieht.

Ääähh!

War der Tenor der ersten Stunden. Und dann kamen sie. Die Kommentare, die quer durch alle Zeitungen ziemlich eindeutig und ziemlich vernichtend waren für den Vizekanzler und seinen Gudenus.

Man konnte die ganze Nacht online sein und sich die Zeit nehmen, die man brauchte um zu verarbeiten, was da gerade passierte. Viele waren da und tippten sich die Fassungslosigkeit von der Seele.

Gepaart mit einer ungläubigen Erleichterung.

„Das muss es doch jetzt gewesen sein, oder?“

Denn in Zeiten von Trump, Orban und Co. fällt es einem nicht leicht zu glauben, dass es noch Regeln gibt, ….. die auch gelten. An die sich die Leute halten.

Dass die FPÖ alles tun würde um sich als Opfer darzustellen, war klar. Aber wie würde Kurz reagieren. Er hat so oft ignoriert, was die FPÖ alles in den Äther gegröhlt hat. Viel zu oft.

Hier waren sich einige daher nicht sicher. Er müsste eigentlich, aber würde er auch?

Und dann hat er uns warten lassen.

Lange.

Wie sich herausstellte, brauchte er die Zeit um seine erste Wahlkampfrede zu schreiben.

Bei uns im Haus war am Samstag Innenhofflohmarkt. Das heißt viele Parteien die in unserem Haus leben waren im Hof beisammen. Den ganzen Tag und den Abend gleich dazu. Es wurde geredet, gezweifelt und es wurde sich gefreut. Schon. Ja. Die Erleichterung war deutlich spürbar.

Mit einer gewissen Vorsicht zwar, aber man wird über die Jahre hin ja anspruchslos. Hier freuen sich die Leute mal, dass sowohl Strache als Gudenus weg sind. Immerhin hatten die beiden Wien im Visier. Bisdudeppat!

Seufz!

Und am Sonntag ist EU – Wahl.

Fad wird einem hierzulande gerade gar nicht.

Wie schaut das für euch so aus?

Anmerkung: meine Plakat-Serie muss ich jetzt kurzfristig überarbeiten….

Und noch was. Ich schreibe das am Sonntag Nachmittag. Vermutlich sind wir in der Abwicklung der ganzen Geschichte doch schon etwas weiter, wenn ihr das lest.

So ist das, wenn die Geschichte kurz auf ’s Gaspedal steigt. Tja. Bleibt dran!