Kennt ihr diesen Moment, an dem ihr etwas, woran ihr locker tausend mal vorbeigegangen seid, das erste mal richtig anschaut und erkennt, dass da etwas ganz anderes steht, als ihr immer gedacht habt? Nun, ich gebe zu: das kommt nicht allzu häufig vor. Aber es kommt vor. Mir ist das gerade so passiert mit dem „Haus mit Augenbrauen“ oder „Varta-Haus“ am unteren Ende der Mariahilfer Straße.
An diesem Haus bin ich zig mal vorbeigegangen in meinem Wiener Leben. Es war eine Zeit lang eingerüstet. Und ich meine mich an die Zeit vor dem Dachausbau vage erinnern zu können. Aber wirklich angeschaut habe ich mir das Haus zum ersten Mal letzte Woche. Denn das „Haus mit Augenbrauen“ spielt mit einem bzw. spielt es einem etwas vor.
Es beginnt damit, dass man beim darauf-zugehen oder eben Vorbeigehen das Haus als „gewöhnliches“ Wiener Gründerzeithaus wahrnimmt. Oder eben nicht. Es wirkt so „normal“, dass man gar nicht richtig hinschaut. Siehe Bild.
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Nimmt man sich aber die Zeit tatsächlich hinzuschauen, einmal scharf zu stellen quasi, dann .. ja dann merkt man, dass da was nicht stimmt.
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Da sind keine Schnörkserln und Bogerln und Blumen, Girlanden oder Ornamente. Da sind Linien. Viele.
Schon schön angeordnet, sehr geometrisch, dem Auge schmeckt’s. Es schaut aus wie echt, ist es aber gar nicht. Ist das Verarsche? Ist das Humor? Oder spielt da jemand mit den Wienern?
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Der Künstler und Architekt heißt Peter Sandbichler und hat dem Haus etwas wiederverpasst, das ihm abhanden gekommen war. Ursprünglich in 1865 erbaut, handelt es sich tatsächlich um ein Gründerzeithaus und es sah auch so aus, wie man eben meint, dass es ausgesehen haben muss. Schnörksel mit allem. Klassische Wiener Hausfassade.
Und der Krieg hat dem Haus zugesetzt und aus irgendwelchen damals sinnvollen Gründen, war es notwendig alle die Verputzschnörksel zu entfernen, sodaß das Haus dann nackert dastand. Ich habe im Architektur Stadtplan der Stadt Wien dieses alte Foto gefunden.
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Darauf ist die Struktur des Hauses und auch die Fensterformen noch vorhanden. Charme fehlt dem Haus jedoch schmerzhaft.
Der Eigentümer (ein äußerst umstrittener Immobilienmensch) hat das Haus dann „entwickelt“, sprich er hat es sanieren lassen und optisch halt aufbessern. Das hieß in diesem Fall ein mäßig lässiger Dachaufbau und eine klassische Fassade dazu. Ich konnte aus dieser Zeit nur ein einziges Bild finden. Da sieht man das Haus als Hintergrundbild der Firmenwebsite.
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Damals sah die Fassade also klassisch Wien aus. Warum das noch einmal überarbeitet wurde, kann ich nicht finden. Auf jeden Fall trägt das Varta-Haus jetzt die kubistische Variante einer Wiener Gründerzeitfassade.
Und jetzt noch die kleine, wunderbare Nebenbeistory.
1910 hat Adolf Loos am Michaelerplatz das Loos-Haus entworfen. Minimalistisch, secessionistisch und damals unverträglich modern. Die Wiener hassten das Loos-Haus. Sie nannten es abfällig das „Haus ohne Augenbrauen“, weil die kleinen Fensterdacherln fehlten, die halt üblich waren. Angeblich hat Kaiser Franz Joseph den Michaelerplatz wegen diesem Haus gemieden und extra einen anderen Ausgang aus der Hofburg gewählt um den Anblick zu umgehen. Auch geht die Mär, dass er ein Fenster hat vernageln lassen, damit er es nicht sehen muss.
Naja. Wasweißich.
Hier also das Loos-Haus. Das „Haus OHNE Augenbrauen“.
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Auf jeden Fall wurde das neue, kubistisch unterstütze Varta-Haus von einigen Wiener eben das „Haus MIT Augenbrauen“ getauft, was ich jetzt schon sensationell verwienert finde.
Auf jeden Fall kennt ihr die Story jetzt auch und wenn ihr am „Varta-Haus“ aka „Haus mit Augenbrauen“ vorbeigeht, werdet ihr es vermutlich auch nicht einmal bemerken.
Auch typisch Wien.
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