I missed walking

Ich habe eine schräge Beobachtung gemacht. An mir. Seit wir kein Auto mehr haben, die nahegelegene Hauptstraße zur faszinanten Dauerbaustelle mutiert ist (ein paar Wochen noch) und ich begeisterte e-Bike-Besitzerin bin, fehlt mir das Gehen.

Ich will ehrlich sein. Es kann sich nicht nur um das Rad handeln und die Baustelle, es war mit ziemlicher Sicherheit auch der lange, heiße Sommer. Bei 35 Grad brauch‘ ich nicht gehen. Charmepegel im unteren Drittel der Happy-Grins-Skala. Viel zu anstrengend. Die Füße glühen einem weg. Nein, nein, in der Hitze ist spazieren durch die Stadt wahrlich nicht sexy.

Es ist wohl, wie es meistens ist: eine Kombination aus vielen Faktoren. Wir leben in einer Welt in der es superbeliebt ist die Dinge auf einen – meist Sünder – runterzureduzieren. Da ich aber per se schon selten zur Fangemeinde derartiger Versimplifizierungen gehöre, bleibe ich dabei: Das Rad, die Hitze und die (wegen der Baustelle) fehlende Bim, die mir gerne mal für eine Station oder so den Weg verkürzt hat, das sind meine Gründe.

Bemerkt habe ich es, als ich innerhalb kurzer Zeit meherere Male einfach losgegangen bin und wie ich mich danach so fühlte. Die Temperatur war ideal für einen Spaziergang gewesen. Am Rad hätte ich schon Handschuhe tragen müssen. Zu Fuß noch nicht.
Dabei habe ich auch erkannt, dass mir Wien fehlt. Will sagen: die Leut‘, die Stimmung, alles halt.

Fährt man ein Auto, dann ist logischerweise der Blick hauptsächlich auf den Verkehr gerichtet. Frau fährt dann schon mal an spektakulären Szenen vorbei ohne sie auch nur wahrzunehmen.
Am Rad ist die Aufmerksamkeit zwar auch sehr verkehrsorientiert, da man aber nicht in einer schallisolierenden Blechdose herumfährt, kriegt man schon zwangsläufig mehr mit. Es passiert mir am Rad schon mal, dass ich stehenbleibe um eine Aussicht zu genießen.
Bin ich zu Fuß unterwegs, dann bin ich im Ort, am Ort. Ich fahre nicht durch. Ich bin. Ich sehe. Ich höre. Es ist eine komplett andere (sinnliche) Erfahrung und ich komme daher zu dem Schluß, dass mir dieser Gesamteindruck gefehlt hat. Wegen der Hitze, wegen dem Rad, habe ich es weniger erlebt. Und wir Menschen sind schon wirklich dafür gemacht. Wir sind zum Gehen und Laufen gebaut. Wir sollen wahrnehmen, was so geschieht, uns umsehen. Das können wir. Dann sind wir im Moment.

Das mag vielleicht jetzt ein bissi metaphysisch klingen. Früher bin ich viel (zu viel) mit dem Auto gefahren. Dann habe ich irgendwann begonnen zu gehen. Das hat viel für mich verändert. Die Distanzen haben sich relativiert, die Zeit, die man für Distanzen braucht. In der Stadt vor allem. Und dann ist da eben dieses was-es-mit-einem-macht, wenn man einfach quer durch die Stadt geht. Mehrere Grätzln quert, Ecken sieht, die man noch nie gesehen hat. Entdeckt quasi.
Mal ganz abgesehen von der Bewegung und schon auch von der Stressfreiheit. Gehen hat was. Ich wusste es vorher. Ich wusste nicht, dass es mir tatsächlich so viel schenkt. Ich wusste nicht, dass es mir fehlen könnte.

Überraschung!
Es kann.

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