gelesen: Orca versus Segelboot

Ihr habt es sicher schon mitbekommen. Irgendwo attackieren Orcas Segelboote. Diese Info poppt in letzter Zeit immer wieder mal in Variationen in den Headlines der Medien auf. Die Informationen dazu lesen sich dann stets entweder recht reißerisch oder eben blabla-langweilig. Neulich dann hat die Science Abteilung des „Guardian“ eine Podcastfolge dazu gemacht und da war dann endlich mal einiges an Info, die ich bisher noch nirgendwo gelesen hatte. Deswegen heute hier für euch eine kleine mamimade-Zusammenfassung.

Generell will ich aber noch anmerken, dass die Berichterstattung sehr unterschiedlich ist zu diesem Thema. Orcas sind wohl eher ein Spezialgebiet und nicht jeder hat einen Meeresbiologen, der sich auch noch auf diese Tiere spezialisiert an der Hand. Das merkt man ganz allgemeinhin.


Orcas. Was sollte ich wissen?

Nun. Orcas, auch Schwertwale genannt, sind Meeressäugetiere, die ein äußerst intelligentes und koordiniertes Verhalten an den Tag legen. Wir (Menschen) gehen deswegen davon aus, dass es sich um kluge Tiere handelt. Intelligent. Echt.
Orcas kommunizieren über eine eigene „Sprache“. Ihr soziales Verhalten ist stark ausgeprägt. Sie „reden“ quasi ständig miteinander. Auch berühren sie sich viel. Sie rammen einander (also ich nenn das ja Kuscheln) und kugeln sich auch mal über ein anderes Tier. Da die Sicht im Wasser meist minder ist, ist der Ton das Mittel für Ortung und Kommunikation. So können per Ton die Position von anderen Orcas erkennen, 100te Meter und mehr entfernt.

Das Gehirn der Orcas ist dem der Menschen sehr ähnlich. Speziell ist der paralimbische Lappen. Ein Teil Hirn, der der Verknüpfung von Kommunikation mit Gefühlen zugeschrieben wird. Ein Orca, so die logische Schlussfolgerung, redet also viel über Gefühle (Oh Mein Gott!)
Und sie haben wohl sowas wie Namen. Es gibt für jeden in einer Gruppe eine Art speziellen Pfeifton. Verstehen können wir davon noch nix. Das liegt auch daran, dass, wie es sich für ein ordentliches Meerestier gehört, der größere Teil (95%) unter Wasser verbracht wird und somit außerhalb unseres Territoriums. Es gibt Bände und Bände über die Orcas. Sie sind faszinierend und klug und .. ziemlich nett anzuschauen, sprich schön. Aber nun zur Sache.

Was passiert da überhaupt?

Abseits der portugiesisch/spanischen Küste und in der Straße von Gibraltar kommt es seit 2020 wiederholt zu Angriffen von Orcas. Diese attackieren vor allem die Ruder der Boote und brechen diese ab. Sie scheinen sich richtig hineinzubeißen und rütteln und reißen solange bis es eben kracht. Die Boote sind danach manövrierunfähig – logisch – und müssen von der Küstenwache abgeschleppt werden. So eine „Attacke“ kann gut eine Stunde und länger dauern und ist wohl kein angenehmes Erlebnis.

Es ist auch vorgekommen, dass in den Rumpf eines Bootes ein Loch geschlagen wurde, mit der Konsequenz, dass das Boot dann sank. (3 dokumentierte Fälle)

Prinzipiell zeigen nur Tiere in dieser Region dieses Verhalten.
Als neulich ein Orca ein Segelboot in der Nähe der Shetland Inseln rammte, war die Aufregung groß. Man hatte Sorge , dass sich dieses Aktionen über den Globus ausbreiten könnten. Dass dem so ist, kann man aber weder belegen noch dagegen reden. Der Shetland Orca hat das Ruder aber nicht attackeirt. Insofern ….

Von wievielen Tieren reden wir hier?

In der Region leben so um die 50 Tiere. Die meisten sind „namentliche bekannt“. Sie haben von Wissenschaftlern Namen oder Nummern erhalten. Wenn es auch nicht eine Familie ist, so sind die Tiere wohl großteils untereinander verwandt.
Sie leben in Gruppen von 5-7 Tieren zusammen. Wenn sie angreifen sind sie meist zu dritt oder zu viert.
Mittlerweile haben wohl alle Tiere aus dieser Population an einer Attacke aktiv oder passiv teilgenommen. Sie kennen es alle. Davon kann man ausgehen.

Warum machen die das?

Jackpot-Frage, die wir wohl nie beantworten werden können. Wissenschaftler, die sich vor allem mit Orcas beschäftigen, nennen 3 mögliche Szenarien. Von denen eben eine am wahrscheinlichsten scheint. Vorab erwähnen sollte man allerdings, dass für gewöhnlich Orcas an Booten

  • einfach vorbeischwimmen.
  • Orcas intelligente Tiere sind und somit neugierig. Es kommt also durchaus vor, dass sie näher ranschwimmen und
  • den Kopf aus dem Wasser halten oder
  • unter dem Boot durchtauchen.

Die 3 Gründe:

1.) Stress:
Die See ist mittlerweile ein stressiges Umfeld. Speziell um die Küste von Portugal und Spanien ist ein enormer Schiffsverkehr. Die Geräuschbelastung ist enorm. Die Tiere hören einander nicht und haben auch Schwierigkeiten Futter zu lokalisieren, weil die Störgeräusche einfach zu viel sind. Man kann sich vorstellen, dass die Tiere auf diesen Stress reagieren. Beweisen kann man das nicht.

2.) Rache:
Einige der Tiere haben Narben. Es ist also möglich, dass Tiere schlechte Erfahrungen mit Booten gemacht haben und jetzt tatsächlich „zurückschlagen“.
Dem muß man aber entgegenhalten, dass noch nie irgendwo ein Orca rachelüstern reagiert hätte. Auch nicht in Regionen wo er tatsächlich gejagt und getötet worden war. Es scheint nicht realistisch. Die Tatsache, dass einige Menschen dieses Szenario überhaupt ernsthaft in Erwägung ziehen, sagt wohl mehr über Menschen und unsere Art zu denken aus, als über die Wale. (nicht nur meine Meinung)

3.) Spiel:
Orcas haben immer wieder äußerst schräg anmutendes Verhalten an den Tag gelegt. Sie spielen mit allerlei Dingen. So war es einen zeitlang „in“ für junge Tiere mit einem Lachs am Kopf rumzuschwimmen. Oder einer Qualle. Oder Seetang.
Es scheint, als gebe es „hippe“ Modeerscheinungen, die sich über eine Zeit halten und dann wieder verschwinden.
Für diese Annahme spricht auch, dass die Tiere, sobald das Ruder gebrochen ist, komplett das Interesse verlieren. Auch die Schiffe, die sanken waren schlagartig total uninteressant. Auch die Menschen im Rettungsboot.

Weiters hat ein Biologe per Zufall eine Attacke miterlebt und er meinte, dass es auf ihn wie ein Spiel gewirkt hätte.
Man muss sich halt vergegenwärtigen, dass das riesige Tiere sind und dass, wenn so ein Tier „spielt“ der Mensch zum Gummibärli wird. Sicher kein gutes Gefühl.

Wie oft ist das schon vorgekommen?

Mittlerweile sind gut 500 Angriffe gemeldet worden. Seit 2020. (Anmerkung: die ersten Angriffe tauchten in etwa kurz nach den ersten Lockdowns auf. Als also die Geräusche plötzlich wieder da waren. Könnte ja ein Zusammenhang sein!)
Das ist also keine Kleinigkeit. Das ist tatsächlich ein seriöses Problem.

Viele Bootsfahrer nehmen die Sache eher gelassen. Weil sie die Tiere respektieren und in der Situation keine Option zum Handeln haben … so sie nicht Gewalt anwenden wollen. Das kommt aber vor. Leute gießen Diesel oder Chlor über die Tiere und werfen auch mal Feuerwerkskörper ins Wasser.

Und das wo der Sommer gerade so richtig losgeht und die Bootsfahrer ja gerade erst loslegen. Die Zahl der Zusammenstöße ist in letzter Zeit stark gestiegen. Wer vernünftig ist, fährt wohl besser nicht mit der neuen Yacht vor die iberische Küste oder in der Straße von Gibraltar herum. Das kann nämlich teuer werden.
Nur so als Tipp.
Als intelligentes Wesen sollte man schon wissen, wenn der „Gegner“ auf dem längeren Ast sitzt .. äh die größere Welle reitet … den tieferen Seegang hat … oder so.

gehört:
Podcast SCIENCE WEEKLY (The Guardian) – Why are orcas attacking boats…
TODAY IN FOCUS (The Guardian) – Payback or play

geschaut: sehr interessante 3SAT-Doku .. „Die Sprache der Wale“