Joe Biden, Joe Manchin und die Pakete, die nicht zum Gesetz werden

Joe Biden, Joe Manchin

 

Da dieser Artikel eine beträchtliche, wenngleich auch notwendige Länge, erreicht hat, habe ich ihn für euch vorgelesen. Ihr könnt also in Ruhe dabei irgendetwas anderes tun. Als Service-Idee!

(Gute Güte, ich hoffe das funktioniert! 🙂

 

 

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In den letzten Monaten hört und liest man nur sehr wenig über die USA und wenn, dann wirkt es zerfetzt und macht wenig Sinn. Dabei zerlegen sich die Vereinigten Staaten durchaus weiter. Auch ohne D.Tr. im Amt. Es ist nur nicht mehr so schlagzeilenschwanger.

Ich werde euch heute eine Zusammenfassung der letzten Monate geben und dabei versuchen, das Ganze dann in eine Perspektive zu rücken, damit man versteht, warum das alles dann doch richtig wichtig ist.

Also setzt euch hin, sammelt eure Hirnzellen zusammen, los geht’s.

    Vorab mal ein paar Offensichtlichkeiten, die zur Sicherheit mal ausgesprochen werden sollten:
Generell ist es üblich, dass ein Präsident versucht das Land in seinem Sinne zu prägen. Eh klar. Ich weiß. Wollen ja alle, die an der Macht sind (Anmerkung: es sei denn man ist nur an der Macht interessiert um sich und die Seinen zu bereichern … seufz)
Um so eine Veränderung dauerhaft zu bewirken, ist es notwendig, sie in Gesetzesform zu gießen. Dafür benötigt man 60 Stimmen im Senat (100 Senatoren gibt es. Nur zur Erinnerung). Wenn man diese Mehrheit nicht hinbekommt, dann kann man „nur“ per „Executive Order“ regieren. Das wirkt zwar kurzfristig wie ein Gesetz, kann aber vom nächsten Präsident, so der das will, per Unterschrift beendet werden.
Noch heute ist die Be- und Verwunderung groß, dass Präsident Obama es geschafft hat, seine Krankenversicherung zum Gesetz zu machen, wo doch alle Republikaner eher mit dem Teufel ins Bett gehen, bevor sie jemandem anderen die Gesundheit bezahlen. Aber er hat es geschafft (Nancy Pelosi hat da eine gewichtige Rolle gespielt) und was auch immer Donald Trump herumgetrötet hat, er hat Obama-Care nicht abdrehen können. Das ist die Kraft einer in ein Gesetz gegossenen Idee.

Joe Biden ist jetzt angetreten mit reichlich Versprechen, die allesamt durchaus plausibel und im höchsten Maße notwendig scheinen, wenn man einen Hauch von Sozialdemokratie und Umweltschutz in sich trägt.
Um seine Agenda auch in Gesetze zu verwandlen, haben die Demokraten in der Wahl letztes Jahr dann auch noch die Mehrheit in beiden Häusern des Kongress geliefert. Aber, und das ist die Krux an der Sache, eben nur eine ganz ultraknappe Mehrheit im Senat. Für die 60 Stimmen zum Gesetz reicht es nicht. Und da man davon ausgehen kann, dass man keinen einzigen Republikaner überzeugen wird können, müssen eigenartige Wege begangen werden, Schlupflöchergesetzgebung quasi.

Das Schlupfloch heißt „Budget reconciliation“. Verpackt man ein Gesetz nämlich als ein verspätetes Anhängsel des bereits beschlossenen Budgets, dann benötigt man „nur“ 51 Stimmen im Senat.
Nun würde man ja meinen, dass das jetzt ein leichtes Spiel für Biden sein müsste und man hätte damit ja auch recht. Zumindest auf dem Papier. Denn in der Realität ist die Sache ein ganz normales Riesendilemma.
Denn Einheitlichkeit ist die Sache des linken Politikspektrums nirgendwo. Auch nicht in den Staaten. Da könnt ihr euch das Land aussuchen. Es gibt in vielen Ländern durchaus die Kraft zur linken Mehrheit, das Problem liegt ja eindeutig darin, dass sie sich in ihrem Links nicht einig sind.
In den USA schaut das dann so aus, dass es Demokraten gibt, die wie Bernie Sanders als beinahe schon waschechte Sozis durchgehen, aber eben auch Demokraten wie, in diesem Fall, Joe Manchin, der Aktien von Kohlebergwerken sein eigen nennt und Trump beim Kürzen der Steuern für die Reichen unterstützt hat.

Die Kraft der großen Reichweite in der Bevölkerung ist gleichzeitig die Schwäche bei den Abstimmungen für die Demokraten. Die politisch rechte Seite tut sich da schon viel leichter. Die definieren sich meist als „nicht – Demokraten“ (also im Sinne von „nicht der demokratischen Partei angehörig“) und der Rest der politischen Einstellung steht dann im Kleingedruckten, das natürlich keiner liest. Wenn euch das bekannt vorkommt, dann weil die rechte Seite ja auch hierzulande (und damit meine ich Europa) diesen Weg geht. Und zum Teil machen das auch schon die traditionell konservativen Parteien, einfach, weil es wahlkampftechnisch so gut funktioniert.
Die Leute fressen diese Idee wie Zuckerln. Man nennt das Identitätspolitik. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

 

Heute geht es darum, dass sich die Demokraten im wirklichen Leben eben richtig schwer tun, ihre 50 Senatssitze auch zu nutzen, sodaß der Präsident umsetzen kann, wofür er angetreten ist.

Was war das denn nun? Was will Joe Biden?
Joe Biden will viel. Er hat sich das Ziel hoch gesteckt und würde er auch nur die Hälfte davon umsetzen, wären die USA ein anderes Land. Es geht um Umweltschutz, um die Klimakrise und die Rolle, die die Ver. Staaten weltweit dabei übernehmen wollen. Es geht um öffentlichen Verkehr, es geht um die Verantwortung der Wirtschaft, es geht um Ökostrom, um Kohle. Es geht um eine Krankenversicherung für alle Kinder bis zu einem noch zu definierenden Alter, es geht darum, dass Familien Steuererleichterungen zugeschrieben werden, es geht um kostenlose Vorschulen und 2 Jahre freie Collegebildung für jeden. Es geht um einen Anspruch auf Mütterkarenz nach der Geburt, um einen Anspruch auf Pflegezeit, wenn ein Kind erkrankt, um vertretbare Medikamentenpreise für vom Arzt verschriebene Medikamte (Das ist derzeit ein offener Markt, und die Preise sind horrend!). Die Liste ist lang, und die Liste ist dringend. Eine enorme Zahl an US-Bürgern lebt von der Hand in den Mund – und kippt in die Armut, sobald irgendetwas passiert. (Also jemand wird krank, zum Beispiel).
Joe Biden ist angetreten das zu ändern.

Also haben die Demokraten ein Giganto-Gesetzespaket zusammengeschrieben, in dem fast alles drinsteht, was nötig wäre, um aus den USA das zu machen, was Biden und die Seinen für richtig halten.
Dazu hinein packten sie auch noch alles, was das Land so an Infrastrukturmaßnahmen dringend bräuchte. Wir reden hier von zerfallenden Brücken, maroden Straßen, Stromleitungen, die veraltet sind, Wasserleitungen aus Blei, Flughäfen, die schlicht nicht mehr dem Stand der Zeit entsprechen und Häfen, die eine Generalüberholung dringend notwendig hätten.
Es ist was zu tun. Das ist mehr als klar. Die USA zerfallen gerade, so lesen sich sämtliche Kommentare darüber.

Und deswegen hatte dieser Teil des Pakets auch tatsächlich eine gute Chance, im Senat relativ easy beschlossen zu werden.
Und das war der Clou, den sich die linkere Hälfte der Demokraten zunutze machen wollten. Sie hatten aus der Geschichte gelernt. So ein sozialdemokratisch angehauchtes Paket lag nämlich schon einmal vor, aber es wurde nicht beschlossen. Diesmal, so der Plan, würde man es an das „Infrastruktur-Paket“ koppeln, und so durch den Senat bekommen.
Joe Biden und auch Nancy Pelosi versprachen das, und monatelang wurde verhandelt, um die nötigen Stimmen im Senat für die Doppelpackung zu erreichen.
Aber das gelang nicht.
2 der 50 Demokraten-Senatoren sind im Spektrum eben zu weit rechts, als dass sie Krankenversicherungen akzeptieren könnten, oder, wie im Fall von Joe Manchin, Umweltschutzmaßnahmen in einem Bundesstaat, der zum größten Teil vom Kohleabbau lebt.

 

 

Davon hat man natürlich nichts gelesen bei uns, denn es waren „Der Präsident hat sich eingeschaltet in die Verhandlungen“ und ein „Es dürfte bald zu einer Einigung kommen“ nur um dann zu einer „Joe Manchin tut sich schwer mit dem Teil des Pakets, das seinem Staat nicht gut tun würde“ – Schlagzeilen.
So ging das monatelang.

Dann haben die Demokraten im Repräsentantenhaus – sprich Nancy Pelosi – das Paket aufgeschnürt und das „Infrastruktur“-Paket solo an den Senat weitergeleitet. Die linken Demokraten kochten vor Wut. Sie fühlten sich betrogen. Die Schlagzeilen waren dementsprechend. Sie verweigerten daraufhin ihre Stimmen für das so dringend benötigte „Infrastruktur“-Paket, was aber nichts ausmachte, weil tatsächlich einige Republikander einsprangen. Die Straßen sind überall kaputt und man kann als Repräsentant im House genauso punkten bei der eigenen Wählerschaft wie als Senator, wenn man das Geld aus Washington heimbringt, um … naja all das was repariert werden muss reparieren zu können.

Also stand die gesamte soziale Agenda des Präsidenten inklusive allem, was auch nur irgendwie klimatechnisch relevant sein könnte, auf dem Abstellgleis – und wartete. Es blieb nichts anderes zu tun als weiter zu verhandeln.
Im wesentlichen zwischen den Demokraten und einem der Ihren, nämlich Joe Manchin.

Daher jetzt kurz zu jenem ominösen Mann, an dem scheinbar hängt, ob die USA jemals einen Beitrag gegen die Klimakrise leisten werden oder eben nicht:
Joe Manchin ist einer der beiden Senatoren aus West Virginia. Dieser Bundesstaat ist seines Zeichens ein absoluter Trump-Bundesstaat. Tiefrepublikanisch. 60% oder so. Demokraten spielen dort eine untergeordnete Rolle. Und doch ist Joe Manchin Senator dort. Und das nichteinmal zum ersten mal. Man könnte jetzt also sagen, dass die Demokraten lieber ganz leise sein sollen, denn ohne die durchaus beachtliche Leistung, in so einem Bundesstaat einen Senatorsitz zu ergattern, wären sie auf 49 zu 51 und damit ohne jede Chance etwas so zu gestalten, wie sie möchten. Joe Manchin ist demnach zweierlei, er ist nicht nur der Stachel im Arsch, er ist gleichzeitig der Mehrheitsbringer. Ohne ihn wäre dieser Sitz nicht der Ihre. So einfach.
Und wohlgemerkt, es gibt Bundesstaaten in denen die Demokraten einen Senatorensitz „verspielt“ haben, den sie eigentlich hätten heimbringen müssen. Mäßige Wahlkampagnen, geringe Finanzierung derselben, Gerrymandering, Wählerunterdrückung und ein zu naives Vorgehen in manchen Wahlbezirken (eine Stärke der Demokraten wie es scheint) haben dazu geführt, dass sie jetzt die gesamte Entscheidungsgewalt über die Agenda-Biden in die Hände eines Mannes legen mussten, der diese Aufmerksamkeit landesweit ganz offensichtlich genießt.

 

 

Wochenlang, nein eher monatelang wurde er jetzt hofiert. Von beinahe allem, was als Demokrat durchgeht. Private Dinners beim Präsidenten inklusive. Das restliche Paket mit dem Namen „Build Back Better“ wurde zurechtgestutzt, beschnitten, die Summen verkleinert, so Manches gar ersatzlos gestrichen, nur um die eine so dringend benötigte Stimme zu bekommen.
Die Schlagzeilen währendessen waren eine Mischung aus unterwürfig und hoffnungsvoll, die zweite Zeile spiegelte stets den Groll der sozialdemokratischen Hälfte der Demokraten wieder.
Die Medien dehnten diese innerparteiliche Krise zu einem genußvollen Dauerkrimi aus. Jedes unnötige Detail wurde in Gremien durchdiskutiert und zerpflückt bis am Ende alle Beteiligten aussahen wie Idioten. Fox News höhnte sich glücklich durch das linke Dilemma. Das Parade-Medium der ehemals Konservativen war für diese Extrarunden um die dahinsiechende Leiche des Gesetzes sehr dankbar. Nach meiner Beobachtung war die gesamte Berichterstattung eines, nämlich grausam.

Und als dann Joe Manchin live auf Fox News bekanntgab, dass er diesem Paket nicht zustimmen wird. Dass er also quasi live im Fernsehen den Präsidenten im Regen stehen hat lassen und das dann noch auf dem Kanal, der nur darauf wartete in schallendes Gelächter auszubrechen, war das Chaos perfekt.

Die linke Truppe rauft sich die Haare und ergeht sich in „Wir haben euch ja gewarnt!“ Chören, der Präsident meidet gerade ein wenig die Öffentlichkeit (hilfreich ist da die Omikron-Welle und Weihnachten), während die Republikaner in den Bundesstaaten, in denen sie die Mehrheit haben, weiterhin eifrig an allen Rädchen drehen um die nächsten Wahlen in ihre Richtung zu schieben. Das reicht von Gerrymandering bis hin zu dem-Wähler-das-wählen-schwermachen-ohne-dabei-zu-offensichtlich-rassistisch-zu-sein – Gesetzen. Sie versuchen das Recht auf eine Abtreibung zu stürzen und behaupten mit ziemlicher Inbrunst, dass die Pandemie schon lange vorbei ist.

Die Republikaner sind also nicht eitel und liegen faul herum. Sie arbeiten eifrig am Machterhalt und verkaufen dafür ihre Seelen, geben sich Verschwörungsschwachsinn hin und überholen sich selber rechts immer und immer wieder.
Ihre große Stärke dabei: Sie ziehen alle an einem Strang.

Wenn die Demokraten nicht liefern, und so schaut es zur Zeit leider aus, dann wird der nächste November mit den Midterm-Wahlen dem Präsidenten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die hauchdünne Mehrheit im Senat nehmen und ihn dann zu einer „lahmen Ente“ machen. (so nennt man einen Präsidenten, der durch eine Mehrheit gegen ihn im Kongress nicht frei agieren kann). Die Macht ginge an die Republikaner, die auch dann stetig weiter in ihrem Sinne agieren werden. Das Aushöhlen der Demokratie .. dem kann man zur Zeit in Echtzeit zuschauen.

Der Kampf ist allerdings noch nicht vorüber. Es spielt sich eben alles gerade live vor unseren Augen ab. Nur berichtet wird darüber kaum, weil die einzelnen Schritte halt nicht so spektakulär sind und … ja natürlich weil bei uns halt grad auch einiges los ist.

So, wer bis hierher gelesen hat, dem verleihe ich jetzt eine Trophäe 🏆! Ich hoffe, ihr seid um ein kleines Stückchen schlauer und wenn ihr das nächste mal einen kleinen Brocken Nachrichten USA-Innenpolitik aufschnappt, dann könnt ihr ihn womöglich besser einordnen.