Meinungsfreiheit – Was ist das? oder Vom Wind, den man nicht mehr spürt

Letzte Woche hat Astrid davon erzählt, dass in Deutschland ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung meint, die Meinungsfreiheit wäre in ihrem Land eingeschränkt. Sie verweist auch auf einen Artikel in dem dann diese Fehleinschätzung als ein schizophrenes Merkmal dargestellt wird.

Sind die Leute denn alle verrückt?

Ich finde ja und ich finde nein. Ich erkläre euch mal, was ich mir so alles dazu denke. Und das ist vielschichtig. Also liste ich auf.

1. Was ist Meinungsfreiheit

Nun, ganz trocken gesagt, bedeutet das, das man alles sagen darf, ohne dafür ins Gefängnis zu wandern. Keine Repression, kein Überwachungsstaat, der dich in ein Umschulungslager steckt, damit du so denkst, wie der Staat es mag.

Es bedeutet ein offenes Internet und Kommentarmöglichkeiten, die einen tippen lassen, was man so gerade aus dem Hirn spuckt.

Und das ist alles gegeben bei uns. Kein Journalist geht ins Gefängnis für eine Aufdeckerartikel.

Man kann hierzulande beinahe jeden Schwachsinn in den Raum stellen. Es ist fast alles erlaubt.

Also von der gesetzlichen Seite her wohlgemerkt. Es gibt die Verhetzungssache und die Wiederbetätigungssache, hier gibt es gesetzliche Grenzen. Und der Großteil der Bevölkerung findet diese Grenzen d’accord.

Alles andere ist gesetzlich erlaubt.

Alles andere kann man rauslassen. Es gibt aber so etwas wie eine moralisch/ethische Grenze. Also, wenn ich rauslasse, was ich rauslassen will, dann geht das zwar okay. Es muß aber, und das ist jetzt der Haken, den die meisten nicht gerne schlucken wollen, nicht jedem schmecken, was man so von sich gibt.

Man darf demnach eine Frau ein fette, geile, wasweißichnochalles Schlampe nennen. Darf man. Man muß dann aber auch damit klarkommen, dass, wenn man etwas derart Fieses von sich gibt, irgendjemand womöglich etwas retournieren wird, das … und das ist dann der bitte Haken … auf derselben Ebene daherkommt.

Wenn ich also etwas sage, dass heftig ist, dann darf ich mich nicht beschweren, dass das, was zurückkommt auch heftig ist.

Man sollte sich halt vorher überlegen, wie die Dinge so rüberkommen, die man in die Welt rülpst.

Und das machen viele nicht.

Zudem kommt rein geschriebener Text (ich beziehe mich das auf die sozialen Netzwerke) oft anders rüber, als ein gesprochener Text mit Subkontext in der Stimme und womöglich noch durch Körpersprache unterstützt. Rein geschrieben kann einiges gewaltig in die Hosen gehen.

Vor allem, wenn man nicht gut ist im Texte verfassen.

Und da gibt’s schon einen gewaltigen Malus in der Bevölkerung. (sorry)

2. Diskutieren, Diskussion, Streiten und die Fehlerkultur

In meinem früheren Leben war ich viel in der Gesellschaft von Juristen und Rechtsanwälten. International. Und das auf Elite-Niveau.

Was mir damals sehr aufgefallen ist: Die diskutierten ununterbrochen. Über Politik, über Vorlesungsinhalte, über Fallbeispiele, über das Menü im China-Restaurant, über das Wetter …

Was ich sagen will; es gibt Leute (müssen nicht unbedingt Juristen sein, das hier ist nur mein so-habe-ich-es-erkannt-Beispiel) die diskutieren unentwegt. Das geht so weit, dass sie zwischendurch einmal auch eine Position einnehmen, die gar nicht die Ihre ist, nur um eine Diskussion zu ermöglichen.

Es kann anstrengend sein in so einer Gruppe. 😉

Die Kennedys waren berühmt dafür beim Abendessen stets diskutiert zu haben. Mit den Kindern, mit den Großeltern. Ständig.

Wenn man viel diskutiert, dann weht einem auch immer der Gegenwind der anderen Meinung entgegen. Das ist wie in Wien wohnen. (komisches Beispiel) Wenn man in Wien wohnt, dann weht hier viel Wind. Aber weil er viel weht, nimmt man ihn kaum mehr wahr. Kommt man aus Innsbruck nach Wien, dann .. ja, dann .. merkt man es. Es weht. Oft kühl. Nicht so föhnig wie in Innsbruck. Und beinahe immerzu.

Genauso verhält es sich mit dem Diskutieren. Diskutiert man ständig, dann ist eine andere Meinung eben eine andere Meinung. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Maximal vielleicht noch ein Anstoß ein weiteres Argument zu erarbeiten.

Lebt man im Alltag diskussionsfern und muß dann plötzlich seine Meinung behaupten, dann kann es einem schon passieren, dass man das dann für einen Angriff auf die Persönlichkeit hält, als Beleidigung.

Das Selbstwertgefühl das kringelt sich dann verschreckt in eine Ecke der Seele und wenn das passiert, gehen die meisten Menschen in Verteidigungsmodus über. Und verteidigen ist nicht mehr diskutieren. Da geht’s um ganz was anderes.

Das eine ist Meinungsaustausch, Argumentationsaustausch, das andere ist Überleben, Schmerz.

Wir sollten daher viel diskutieren. Am besten von Angesicht zu Angesicht.

Eine Meinung haben ist Übungssache.

Dazu kommt noch, dass wir mit Fehlern nicht umgehen können. Also dieses Gefühl, dass uns beschleicht, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Irre, wie manche Menschen leiden, wenn sie einen Fehler begehen.

Dabei machen doch alle Fehler. Immerzu.

Muss man entspannter sehen. Großes Ziel.

3. Das Mittel der Wahl der Rechten ist der unzufriedene Bürger

Und jetzt wird’s manipulativ und politisch. Seit Jahren, in Österreich seit Jahrzehnten, wird uns erzählt, dass es uns nicht gut geht.

Mal sind’s die Ausländer, die uns alles wegnehmen, dann die Linken, dann wieder die Ausländer.

Was hier stets klar ausgenutzt wird ist, dass die meisten Menschen keine Ahnung haben wovon da geredet wird. Speziell wenn es um Zahlen geht. Und weil sich das die Menschen nicht gerne eingestehen, (dass sie keine Ahnung haben,) weil ihnen die Zeit fehlt, Dinge nachzulesen und weil gleichzeitig eine Unzahl an Überschriften, die allesamt die Gefühlswelt ansprechen auf sie niederprasseln (soziale Netzwerke), übernehmen sie diese Überschriften und glauben, das sei ihre Meinung.

Dabei haben sie gar keine.

Also: die meisten Menschen sind tatsächlich nicht sonderlich informiert. Das Ziel ist meist eher ein sich informiert fühlen, nicht das informiert sein.

Meinungen liest man heute in Überschriften, in Schlagzeilen, auf Wahlplakaten. Meinung bildet man sich heute nur mehr selten selber. Es ist wie Fertigessen. Schon da und geht schneller.

Anmerkung: schnell muss heutzutage alles gehen.

Und wenn man nicht weiß wovon man spricht, dann ist diskutieren erstaunlich zweckfrei und auch schwer.

Das Internet und die sozialen Netzwerke sind hier ganz dick im „Meinung übertragen“. Und immer mehr, in den letzten Jahren, hat die Politik dort Fuss gefasst, vor allem die rechten Parteien. Sie benutzen diese Überschriftenmethodik, unterlegen sie mit Emotionen wie Angst und Furcht und treiben so die Leute in ihre Richtung.

Wenn man sich „Diskussionen“ mit diesen Followern anhört oder liest, dann sind sie entweder

– uninformiert und ziemlich schnell auf der „so ist’s aber, du *beschimpfung einsetzen“ Welle unterwegs oder

– sie versuchen mit Whataboutismen und Spins vom eigentlichen Diskussionsthema abzulenken. Funktioniert in 98% der Fälle.

Diskussion ist mit den Hardlinern in dieser Ecke nicht mehr möglich.

Und weil es von diesen uninformierten Hardlinern, die irgendwelchen Schlagzeilen und Whataboutismen um sich werfen einige gibt, glauben die anderen, die dazu äußerst diskussionsungeübt sind, dass sie nicht mehr sagen können, was sie wollen.

Aber das hat mit Meinungsfreiheit wenig zu tun.

Mehr mit Übung, Information und Rückgrat.

Der Blick in den Spiegel tut da weh.

Sind die Leute also verrückt?

Ja – schon, weil es liegt auf der Hand, dass in unserem Land Meinungsfreiheit herrscht. Wenn man sich von irgendwelchen Hardlinern (aus welcher Ecke auch immer) die Luft zum Argumentieren nehmen läßt, dann ist es genauso MAN . LÄSST . SICH . DIE . LUFT . ZUM . ARGUMENTIEREN . NEHMEN!

Da ist man aktiv am sich den Raum einengen lassen.

Nein – Die Mengen an Information und das Tempo sind schlicht ungesund. Zudem sind die Dinge häufig kompliziert. Das Schwarz-Weiß in der Welt ist nur selten zu finden. Der Druck auf den Nachrichten-Konsument ist beträchtlich.

So kann man schon den FastFood-FertigÜberschrift-Meinungen verfallen. Es ist halt einfacher.

Schutzmechanismus vor dem zuviel, zu schnell. Seufz! Menschlich.

Und deswegen sollten wir

diskutieren üben,

informiert sein (zumindest in einer Auswahl an Themen)

und

selbstbewußt und geraden Blickes in die Gegenwart schauen.

Hier nochmal zu Astrid’s Beitrag.