Nähblogger oder Fashionblogger

Neulich auf der Jeanswerkstatt wurden wir (die Damen in meiner Gruppe & ich – nachzulesen HIER) doch prompt gefragt ob wir Fashionblogger sein.

Nun, Nein ich bin kein Fashionblogger. Keine der anwesenden Damen ist eine Fashionbloggerin. Und das ist auch gut so. Es gibt da nämlich mehrere bemerkenswerte Unterschiede.


Der Mensch

Googelt man Fashionblog, dann trifft frau in der Regel auf Blogs von jungen Frauen. Höchstalter wohl maximal 30 Jahre. Meist leben sie in einer Stadt. Sie sind ausnahmslos schlank und sehen ziemlich gut aus.

Nähblogger sind zwischen 20 und pffff… das ist oben offen. Ich hätte die Grenze jetzt so bei 70 gesehen. Sehr häufig findet man Mütter, die zunächst mal für die Kinder genäht haben und erst später begonnen haben für sich selber zu nähen.

Sie nähen, weil sie sie ihren 3-Jährigen nicht in ein Totenkopf-Shirt stecken wollten, oder weil die Tochter so schnell gewachsen ist, dass diverse Modeketten in ihrer Größe nur mehr bauchfrei und supereng anbieten.

Nähblogger entdecken im Nähen ihre Kreativität und nicht selten einen eigenen Stil. Sie sind zweifelsfrei nicht so schillernd und glamourös, aber ihre persönliche Entwicklung zu beobachten kann sehr inspirierend wirken.

Viele Nähblogger nähen anfangs für ihre Kinder.

Die „Mode“

Auf einem Fashionblog werden aktuelle Trends gezeigt. Manchmal auch mit eigenem, kreativen Stil, meist allerdings ist das Gezeigte ziemlich Mainstream. Die Blogger bekommen die Stücke zur Verfügung gestellt und erfüllen somit eine Multiplikator-Rolle für die Modekonzerne. Sie machen Werbung. Die Individualität liegt meist in der Art der Präsentation oder auch in der Auswahl der gezeigten Stücke.

Fashionblogger können enorm Einfluss nehmen auf den Markt. Große Fashionblogs haben Millionen junger Leserinnen und werden auch zu Modeschauen eingeladen.

Ein Nähblogger zeigt auch Mode. Es fühlt sich allerdings mehr wie die Präsentation von Kleidung an. Zudem wurden alle Stücke, die gezeigt werden selber genäht. Das ist ein Unterschied, der vielerlei Konsequenzen hat.

Nur ein überschaubarer Teil der Nähbloggeria hat Schneidern richtig gelernt hat, die meisten haben 

sich ihr mitunter beträchtliches Wissen selber erarbeitet. Das Internet ist eine ausgiebige Quelle an How To – Videos und Schritt für Schritt Tutorials. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber man kann Nähen – bis zu einem gewissen Grad – im Netz lernen. Ich habe es selber erlebt.

Der Rock ist ja simpel, ich weiß, aber ich habe Jahre gebraucht, den richtigen Stoff zu finden.

Jetzt ist er so, wie ich es wollte!

Das Wissen

Nähblogger suchen Stoffe, suchen Schnitte. Sie probieren Stoffe verschiedener Qualitäten, verschiedener Muster an unterschiedlichen Schnitten aus. Nähblogger kennen den langen, mühsamen Weg bis zu einem fertigen Kleidungsstück.

Sie schneiden zu und nähen. Sie trennen auf und quälen sich durch eigenartige Nähanleitungen. Sie investieren viel Zeit in jedes einzelne Kleidungsstück. Sie wissen vom Einsprung, vom Farbverlust bei bedruckten Stoffen und was passiert, wenn man nicht im Fadenverlauf zuschneidet.

Sie kennen das Gefühl, wenn ein Stück daneben gegangen ist. Und sie kennen das Gefühl, wenn etwas fertig ist, gut aussieht und auch noch perfekt sitzt.

Im Unterschied zu einem Fashionblog, steht selten der Blogger selber im Vordergrund. Es geht um das präsentierte Werk, um all die Arbeit, die Sorgen und ab und zu um den Triumph!

Der Wert

Und genau deswegen, weil Nähblogger wissen, wieviel Arbeit in einem einzelnen Kleidungsstück stecken kann, genau deswegen, ist ihnen der Wert eines Teiles so deutlich bewußt. Als Nähblogger greift man sich bei 5€ Shirts und 15€ Jeans an den Kopf.

Dass Preis und Wert nicht mehr Hand in Hand laufen in unserem Modesystem, dass da was schief läuft, offensichtlich nicht mehr stimmt, grundsolide krank ist am System, dass springt einen Nähblogger geradezu schmerzhaft an.

Diejenigen, die schon mal auf einem Weihnachtsmarkt selbstgenähte Shirts oder Mützen verkauft haben, berichten ausnahmslos geschockt von der Ignoranz der Menschen/Kunden, die es für frivol halten, wenn man seine Arbeit bezahlt haben möchte.

Wohl auch deswegen haben sich vor nun fast 1,5 Jahren viele Nähbloggerinnen zusammengetan um gegen die Verhältnisse in der Produktion der Bekleidungsindustrie zu demonstrieren.

Hier nochmal für alle, die ihn noch nicht kennen:

Der Protestkatalog der Nähbloggerinnen – blättert ruhig durch. Es lohnt sich!

Die Community

Nähblogger folgen einander. Frau kennt sich. Manchmal so gar analog. Digital ist es eine untereinander vernetzte Community, die sich austauscht und inspiriert. Manchmal mehr, manchmal weniger. Natürlich gibt es „externe“ Follower. Die lesen und genießen mit. Grundsätzlich ist es eine – im Vergleich – überschaubare Community. Es dreht sich ums Nähen, um Stoff, manchmal um die Kinder oder um das Fotografieren.

Fashionblogger untereinander sind wohl mehr Konkurrenten als Freunde. Sie stehen eindeutig im Wettkampf um die Aufmerksamkeit der Follower und auch der Modekonzerne. Die vielen Tausend Follower kennen einander wohl nur in Ausnahmefällen. Fashionblogger sind die Stars ihrer Follower.  Es gibt Shopping Tipps, Gewinnspiele und jede Menge toller Fotos von all den Dingen, die ein Fashionblogger so hat/braucht.

(Gute Güte, ich habe mich heute da bei ein paar Blogs durchgeklickt, die laut Harpers Bazar superduperwichtig sind und ich fasse es kurz in einem Wort zusammen:

selbstwertgefühlvernichtend.

Durch und durch! BAD! 😉

So, das musste ich kurz klarstellen.  War mir ein Anliegen. 

Ich bin ja viel, Mutter, Ehefrau, Online Marketing Freak, Nähtüftlerin, Kreative, Aquarellentdeckerin, SacheninTextVerpackerin, wirklichgernEsserin, FotoapparatAutomatikAusschalterin und vieles vieles mehr.

Aber Fashionbloggerin bin ich keine.

Nie gewesen.

Wär‘ mir zu fad!

If you look with open eyes – you can see it.