Wien ist eine windige Stadt. Das weiß ich mittlerweile vom vielen Jammern .. der Anderen. Denn mir selber und ich lebe jetzt bereits 30 Jahre IN der Stadt ist es nie .. mit der Betonung auf NIE .. aufgefallen.
Aufgewachsen in der unmittelbaren Umgebung von Wien nahm mich die Stadt per Tanzschule an die Hand. Jahrelang fuhr ich rein und raus .. mit den Öffis .. eh klar. Dann kam die Uni und mit ihr deutlich mehr Zeit in der Stadt und vor allem auch in anderen Bezirken. Ich wuchs heran und lernte Wien kennen. Gemocht habe ich Wien damals nicht so. Es war mir eher wurscht. Dann ging ich im Zuge meines Studiums nach London, das mir den Kopf völlig verdrehte. Danach war Wien ein Kaff für mich.
So unfassbar still.
Irre uncool.
Trotzdem zog ich dorthin. Die Liebe, der Job .. ehschonwissen. Es war einfach soweit und auch logisch. Seither lebe ich in der Stadt.
In der Zeit haben Wien und ich einander gefunden, oder vielleicht war es mehr ein „die Stadt ist mir hintenrum heimlich ins Herz gekrochen“ – eine Wiener Spezialität. Ich habe hier geheirtat (gleich 2x!) und meine Kinder bekommen und auch groß gezogen.
Und in all der Zeit, in all dem Leben ist mir – kein Schmäh – nicht einmal aufgefallen, dass in Wien der Wind weht.
Dass ab und zu mal ein Sturm durch die Lande zieht, betrachte ich ja als gegeben. Danach geht man in den Garten und sammelt die abgebrochenen Äste ein. Manchmal fliegt dann was vom Dach, gerne auch Kinderspielzeug von den Balkonen der Nachbarn. In den Nachrichten ist dann aber das ländliche Österreich, dort unterbrechen umgestürzte Bäume Stromleitungen und eine XX Anzahl von Haushalten war XX Stunden ohne Strom.
Von Wien redet da keiner. Nie.
Insoweit könnt ihr euch also vorstellen, dass ich doch überrascht war, als dann meine Tiroler Freundin auf Wien-Besuch immer und immer wieder davon redete. Sie redete vom Wind, wenn es gar nicht wehte. … Also gefühlt. Nach meinem Standard, von dem ich ja nicht wusste, dass er ein ganz eigener ist.
So.
Jetzt muß man hier anfügen, dass man als Wiener in Österreich herzlich unbeliebt ist. Es ist wie mit Brüssel und der EU. Ganz Österreich gibt gerne Wien die Schuld wenn im Dorf „beliebigen Ortsnamen einsetzen“ eine Ampel aufgestellt wird, wo keiner sie braucht, oder der Traktor mal nicht anspringt.
Menschen sind gemütliche Wesen und gehen gerne den einfachen Weg. In Österreich heißt das, dass Wien Schuld hat.
Und damit die Wiener.
Die sind nämlich arrogante, verweichlichte Städter. Haben vom rauhen, wahren Leben keine Ahnung und wählen auch noch alle rot, womit sie offiziell irre sind.
Gleichzeitig pflegen vor allem die gebirgigeren Gegenden meiner Heimat gerne ein Harte-Burschen-Image. Dort ist’s kalt, dort liegt der Schnee, ergo halten die Menschen dort was aus. Die sind abgehärtert, kernig, echt.
Fakt.
Insofern könnt ihr euch meine ehrliche Verwunderung vorstellen, als so ein Bergmensch hier auftaucht und über das Lüfterl jammert und jammert, das mir nicht einmal auffällt.
Wie umgehen damit? Was kann ich sagen? Was nicht?
Da es sich um eine Freundin handelt und nicht um irgendeine Bekanntschaft konnte ich meiner völligen Verblüfftheit freien Lauf lassen.
Ich nenn’ das nicht mal Wind, was sie so erzittern lässt. Ist mehr so ein Lüfterl. Nicht der Rede wert.
Und doch. Es setzt ihr irgendwie zu. Ihr ist kalt!
Ich fasse es nicht. Wie kann jemandem kalt sein, der meterhoch Schnee vor der Tür hat? Das ergibt in meiner emotionalen Österreichlandkarte null Sinn.
Und doch. Es nimmt sie eindeutig mit.
Bei längerer Beobachtung erkenne ich, dass sie es nicht gewohnt ist, wenn an so mancher Häuserecke eine Brise um die Ecke kommt, die die Frisur auf Level 5 im „Nein, so wollte ich das nicht“ bringt.
Auch, meint sie, dass der Wind (den ich zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht wirklich bemerke) kalt sei. In Innsbruck weht der Fön. Das dürfte einen Unterschied machen, schließe ich daraus.
Also habe ich nachgelesen. Wien liegt am Ende der Alpen, hat den Wiener Wald auf der einen Seite und die pannonische Ebene auf der anderen. Das reicht, so liest man, um Luft die Donau entlang zwingen zu können, was wohl zu einer gewissen Beschleunigung führt.
Gibt man jedoch bei Google „Wind London vs Vienna“ oder „Paris vs. Vienna“ ein, dann scheinen beide windiger zu sein als Wien. Also kann’s ja so schlimm nicht sein.
Ach was weiß ich.
Von mir aus können noch so viele Leute auf Insta Videos posten, wie es ihnen die Haare in die Visage weht, wenn sie durch die Stadt spazieren. Die wahre Härte, lasst euch das gesagt sein ihr Lieben, ist, wenn der Wind in Wien mal NICHT weht.
So im Sommer.
Wenn die Stadt glüht.
Das ist Härte! Da jammern selbst die Wiener.