Alles geht leichter, wenn man nur losläßt oder Vom Radfahren lernen

 

Ich wollte meinem Sohn das Radfahren beibringen. Damals. Es ist jetzt schon ein Weilchen her. Er war gut unterwegs mit seinem Laufrad, auch Dreiradfahren konnte er. Es schien ganz klar der nächste Schritt zu sein auf der Fortbewegungsskala, die ein Kleinkind so zu durch“fahren“ hat.

Also kauften wir ein Rad. Ein Gutes, das war uns wichtig. Und dann? Dann war da Null Interesse. Der kleine Mister war grundsolide happy mit seinem Laufrad. Alles lief bestens in seinen Augen. Kein Grund zur Eile. „Danke, Mama, ich fahre jetzt nicht mit dem Rad.“

Ich konnte also nicht neben ihm herlaufen, die Hand am Sattel, wie man es macht als braver Elternteil. Keine Chance.

Ich probierte es in mannigfaltiger Weise. Zunächst stand das Rad immer vor dem Laufrad. Es war schwieriger zum Laufrad zu gelangen. Er hätte einfach das Fahrrad nehmen können.
Das war dem kleinen Mister aber sowas von egal. Kinder denken nicht so optimiert. Wenn das Laufrad hinten im Fahrradraum steht, dann geht man dorthin und holt es. Was davor rumsteht ist per se völlig irrelevant. Das hat der kleine Mister ziemlich sicher nicht einmal wahrgenommen.
Aha, dachte ich mir.

Auch versuchte ich ihn zu überzeugen, dass er mit dem Rad ja schneller sein könnte. Ein Argument, dass mir als Mutter gar nicht so unbedingt ideal schien um es hervorzuheben. Der pure Gedanke, dass mein Sohn noch schneller, als er ohnehin schon war, durch die Gassen meiner Großstadt fetzte, löste viele Gefühle in mir aus. Beruhigung war keines davon.
Die Aussicht auf mehr Wind im Haar, auf mehr Action und höhere Geschwindigkeit ließen meinen Sohn aber kalt.
Hm, war ich beruhigt.

Freunde die bereits radelten, Ausflüge mit der Familie, die dann leichter möglich wären, und auch die Tatsache, dass er dann schon ein „großer“ Bub wäre, waren alles keine Argumente, die den kleinen Mann auch nur einen Zentimeter dazu bewegten sich per Pedal zu bewegen.
Ratlosigkeit.

Ich lies los und die Sache auf sich beruhen. Läuse waren im Kindergarten aufgetreten und ein Umbau im Haus stand an. Andere Sorgen.

Und dann eines Tages, ich stand in der Küche und schnitt Zwiebeln, kam der kleine Mister durch den Garten zu mir und sagte: „Mama, ich gehe jetzt radfahren. Willst du mitkommen?“

Ich war baff (das ist der offizielle Fachausdruck für meinen Zustand) und ausnehmend wortlos. Ich lief ihm hinterher zum Fahrradraum. Er holte sein Rad raus, stieg auf und .. radelte einfach drauf los.
Einfach so.

Ich war noch um einiges baffer!

Was ich daraus gelernt habe?
Viele Dinge haben ihre Zeit.
Man muss sie nur abwarten können.

Ich hätte diese Geschichte auch mit Projekten aus dem Berufsleben erzählen können, die sich einfach nicht umsetzen lassen wollen. Mal ist der Kollege nicht erreichbar, mal macht der Computer ein ewiges Update, egal wie hart man daran arbeitet, es geht einfach nichts weiter. Und dann gerät ein anderes Projekt in den  Fokus und man lässt Projekt 1 einfach los. Und 2 Wochen/2 Monate später auf einmal … geht es ganz leicht. Viel zu leicht sogar! So kommt es einem dann vor.

Die Dinge haben ihre Zeit. Die Dinge reifen. Die Kunst besteht darin die Unreife gewisser Projekte zu erkennen und rechtzeitig nicht mehr unbedingt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.
Man kann sich so manche Beule ersparen, wenn man die Dinge einfach loslässt.
 

Und dann steigen sie auf und radeln einfach davon! Kinder wie Projekte.

Anmerkung: Dies ist ein Foto aus dem Netz (Photo by Greys Capuyan on Unsplash), das man lizenzfrei benutzen darf. Ich war schlicht überfordert aus der Flut der  Familienfotos gefühlte Jahrhunderte zurückzuverfolgen um dieses eine Bild zu finden und hier zu posten, das mir eigentlich vorschwebte. Ihr kennt das. Das dauert … Stunden und am Ende sitzt man sentimental hochzugedröhnt vor dem Bildschirm und weiß gar nicht mehr, warum man eigentlich damit begonnen hat. ….. Ich kenn mich gut genug! 😉