gelesen KW 31 – Simone Biles

Von Agência Brasil Fotografias – EUA levam ouro na ginástica artística feminina; Brasil fica em 8º lugar, CC BY 2.0

In den Wochen vor den Olympischen Spielen fiel mir die Berichterstattung über eine amerikanische Sportlerin unangenehm auf. Wohlgemerkt in den amerikanischen Medien unangenehm auf. Es ging um Simone Biles. Die Turnerin. In unzähligen Beiträgen wurde berichtet, wie sie sich gerade warmturnt auf irgendeinem Trainingscamp und wie sie dabei irre Dinge vollbringt, irgendwelche TripleFlipDrehSaltos, die nie ein Mensch zuvor geschafft hat. Derlei. Lobgesänge, die auf mich wie Prahlerei wirkten. Sehr eingebildet. Sehr überzeugt.

Und gleichzeitit auch erbarmungslos fordernd. Von ihr. Von Simone.

Ich dachte mir nicht viel dabei, bis dann bei ihrem ersten Auftritt im Teambewerb etwas passierte, das so noch nie passiert war. Simone lieferte nicht ab. Mehr noch, sie verhaute ihren Sprung. Das Team bekam noch Bronze, wenn ich das jetzt richtig habe, aber Simone hatte ein Schockerlebnis. 

Es war etwas geschehen, das für Turnerinnen ihres Niveaus brutal enden kann. Sie verlor im Flug, im Sprung, in der Luft für einen Moment die Orientierung, was, und das leuchtet wohl jedem ein, echt gefährlich ist. Bei dem Tempo, bei der Höhe. Irre.

 

Einer der Vor-den-Spielen Posts. In dem Fall Washington Post – Instagram

Simone Biles wird als Superheldin in den Staaten zelebriert. Weil sie hart im nehmen ist, weil sie liefert. Bisher immer. Egal was passiert. Und he, es passiert jede Menge.

Das weiß ich mittlerweile.

Ich schaue zwar ab und dann Sport, aber Turnen ist nicht meines. Und so hatte ich von Simone’s Leben nicht viel mitbekommen. Ein bissi, aber nicht genug um eine Meinung haben zu können. Mittlerweile jedoch, weiß ich mehr und für den Fall, dass ihr dort seid, wo ich war….

… heute für euch ein Crash-Kurs in Simone Biles:

 

Simone ist im März 1997 geboren. Tochter einer drogenabhängigen Mutter, wird sie nachher erzählen, dass sie sich erinnert kein Essen bekommen zu haben. Mit 2 wird sie der Mutter weggenommen und es folgen Jahre, in denen sie von Pflegefamilie zu Pflegefamilie weitergereicht wird, bis sie dann im Alter von 6 Jahren von ihren Großeltern adoptiert wird.

Zu diesem Zeitpunkt in etwa im Zuge eines Kindergartenausflugs springt sie in einem Gymnastikkurs das erste mal. Und schafft dabei auf Anhieb einen Sprung, für den Anfänger normalerweise jede Menge Vorkenntnisse benötigen. Es ist sofort klar, dass Simone ein außergewöhnliches Gefühl für ihren Körper hat, sobald dieser in der Luft ist.

Sie wird aufgefordert dem Verein einzutreten. Und wohl seit diesem Tag hat Simone Biles die Welt des Turnens auf den Kopf gestellt.

Sie hat in den Jahren 2013 bis 2019 19 WM-Goldmedaillen gewonnen (dazu 4x Silber und 5x Bronze). Bei den olympischen Spielen 2016 holte sie 4x Gold und eine Bronze-Medaille. Simone ist erfolgreicher, als alle die vor ihr waren. 

Simone lieferte immer ab, egal wie groß die Erwartungen, egal wie groß der Druck. Sie hat immer geschafft, was alle von ihr erwarteten.

 

Selbst als 2018 bekannt wurde, dass der Arzt des US Gymnastics Teams 100te Mädchen missbraucht hatte und auch als klar wurde, dass Simone Biles eines dieser Mädchen war, lieferte sie ab und holte Medaillen, wenn es welche zu holen gab.

 

Und dass wo sie selber sagt (entnommen einer Interview-Aufnahme):

„The Organisation failed us so many times and we had won gold, had done everything they asked us for even if we didn’t want to .. and they couldn’t do the one job they had. Protecting us.“

„Der Verband hat uns so oft im Stich gelassen, wir hatten Gold gewonnen, alles gemacht, was sie von uns verlangt haben, selbst als wir das gar nicht wollten und sie, sie konnten die eine Aufgabe nicht erfüllen, die sie hatten. Uns zu beschützen!“

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Simone Biles also, ein junger Mensch, eine junge Spitzensportlerin mit knallharter Kindheit, sexuell missbraucht. Eine junge Frau, die jedwedes Vertrauen in den Verband verloren hat, für den sie sich solange sie denken kann, den A**** aufgerissen hat. Diese junge Frau, die beste ihrer Art, verliert in der Luft inmitten eines technisch anspruchsvollen Sprungs die Orientierung.

Und weil sie genau weiß, was das für sie bedeuten kann, tritt sie von weiteren Bewerben vorerst einmal zurück. 

Woraufhin das Internet explodiert. 

Da sind die, die ihr applaudieren. Die ihren Mut gut heißen und die das Stigma in unserer Gesellschaft umgeworfen sehen wollen, dass psychische Gesundheit, psychische Labilität etwas ist, das nur Weicheier befällt. Verbergen können sie zwar nicht ganz, dass sie schon gerne noch ein paar Goldene hätten und dass einige noch hoffen, dass Simone all den Mist in ihrem Leben in zwei Nachmittagen abarbeiten kann, aber immerhin. Sie stehen eigentlich hinter ihr.

Und dann sind da die anderen.

Die Vollidioten, die sie beschimpfen, sie eine Verliererin nennen. Jemanden, der wegen ein bissi mentalem Wischiwaschi aufgibt. Vergessen sind die zig Goldmedaillen. Vergessen, der Missbrauchsskandal. Alles tritt zurück hinter den eigenen Geltungsdrang, den diese Frau zu erfüllen hat.

 

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Simone Biles war nach der ganzen MissbrauchsKrise so von ihrem Verband enttäuscht, dass sie die Tage zählte, bis sie aufhören kann. Ihr selbstgestecktes Ziel waren diese olympischen Spiele, die ihr die Pandemie dann noch kurz vor der Nase weggeschnappt hat und ihr ein weiteres Jahr Training aufbürdete. Ein weiteres Jahr Druck, Erwartungen, Schmerzen und Schweiß.

Eigenartig schon, dass es jemanden überrascht, dass Simone’s Seele dann in der Luft sagte: „Wenn du nicht auf mich achtest, dann brech‘ ich dir die Hax’n!“

Sie hat ihre Seele verstanden. Weil sie hart mit sich selber ist, wird sie wohl noch hie und da in einem Bewerb in diesen Spielen auftauchen, aber danach … wird sie sich umdrehen und gehen.

Und recht hat sie.

 

Quellen:

Wikipedia Simone Biles

New York Times – The Daily „The Story of Simone Biles“ (Podcast, englisch)