SCHÖFFIN Teil 2 – Wie es mir vor, während und nach so einer Verhandlung ging!

Schöffin, Schöffe

Heute möchte ich euch erzählen, wie es mir dabei ergangen ist Schöffin in bislang drei Gerichtsverfahren zu sein.

Als die Ladung kam, hatte das schon einen leicht bedrückenden Charakter. Zum einen, weil man ja überhaupt nicht weiß, was einen da erwartet und zum anderen, weil der Gedanke über jemanden zu urteilen, ihn oder sie womöglich ins Gefängnis zu schicken, schon etwas Großes hat. Auch war ich nicht scharf drauf irgendwelche grauslichen Details einer Straftat erzählt zu bekommen.
Mein Leben ist ein Friedliches und obwohl in meiner unmittelbaren Umgebung in den letzten Jahren ein paar arge Dinge passiert sind, habe ich doch null Kontakt mit dem Strafrecht.

Ich gebe allerdings auch zu, dass ich neugierig war. Das ist schon eine ganz andere Welt. Die Gesetzeswelt an sich und das Strafrecht dann nochmal im Speziellen. Ein Teil von mir, war also hellwach und aufmerksam. Etwas das, das hatte ich ganz vergessen, viel Kraft kostet.

So war ich nach der ersten Verhandlung, die, so meinte der Richter, lange gedauert hat (4 Stunden), völlig erschöpft. Ich bin im Anschluß durch die Stadt nach Hause spaziert um den Kopf frei zu bekommen und sobald ich daheim war am Sofa in ein Nachmittagskoma gefallen. Die vielen Eindrücke, der Fall an sich, alles nicht so ohne, wie sich herausstellt.

Als Frau hatte ich, ich sage mal natürlich, gehofft, dass ich nicht in einem Sexualdelikt würde urteilen müssen. Und prompt war es genauso. Ebenjene erste Verhandlung. Gleich Vollgas. Dazu war das Opfer geistig am Level einer 6-jährigen. Mehr sag’ ich euch nicht. (Man darf über eine öffentliche Verhandlung sprechen. Nur was im Besprechungszimmer beraten wird, ist geheim.) Ich will da nicht drei Episoden Kopfkino auslösen.

Unerwarteterweise ist mir die Sache gar nicht so sehr nahe gegangen. Ich komme im nachhinein zu dem Schluß, dass ich emotional derart überfordert oder derart weit weg war, dass ich es wie einen widerlichen Film erlebt habe. Den Rest des Tages habe ich mir Zeit gegeben darüber zu reden und den aufgewirbelten Dreck wieder setzen zu lassen. Mein Ziel war am Abend die Sache soweit wie möglich abgearbeitet zu haben, was auch gelungen ist.
Es fällt mir schwerer darüber zu schreiben, als es mir nahe gegangen ist.
Ich weiß nicht wie, aber dieser Fall, den konnte ich weit weg schieben.

Zwei Fälle in den kommenden Wochen stehen aber noch an und beides sind Sexualdelikte. Ich hoffe, ich kann diese Distanz auch da leben.
Schon hart.

Was mir noch aufgefallen ist, ist die Aura. Also das Gefühl im Straflandesgericht, das Gefühl in den Verhandlungen selber. Alles dunkel, alles eher unbequem, kein prickelndes Erlebnis. Dazu möchte ich noch erwähnen, dass am Wiener Straflandesgericht auch gleich ein Gefängnis dranhängt. Das Ganze ist ein Riesenbau, mehr oder weniger mitten in der Stadt. Die Nazis, wenn ich mich an den Geschichts-Unterricht korrekt erinnere, haben dort noch Menschen hingerichtet.
All das kann man schon spüren. Sehr unangenehm. Kein guter Platz.

Dazu kommt die Belastung in der Verhandlung selber. Die Leute lügen, drücken sich um Antworten und ich finde, die machen das allesamt erstaunlich gut. Es hat was Grausliches in dieses Antlitz meiner Gesellschaft zu blicken. Es ist aber zeitgleich etwas, dass ich eh weiß. Ich weiß, dass es diese Menschen gibt, habe es immer gewußt. Ich hatte nur nie wirlich mit ihnen zu tun. Und da sind sie halt jetzt und ich komme mir ein bissi wie so ein Engerl vor, das aus seiner glücklichen, bunten Blase da hin muss um über sie zu urteilen.

Schaff’ ich, ist aber kein Spaß.

 

In einem Fall ging es darum zu entscheiden, ob eine Frau in eine geschlossene psychiatrische Anstalt muss. Sie hatte im Zuge einer, wie nennt man das, psychiatrischen Episode (sie hatte ihre Tabletten nicht genommen) eine Frau am Bahnhof, eine wildfremde, ältere Dame, die einfach das Pech hatte zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, krankenhausreif geschlagen.
 

Die Täterin saß seit Monaten in ebensoeiner geschlossenen Anstalt und war bei der Verhandlung dann medikamentös gut eingestellt. Sie war wohl völlig normal drauf, nicht die hellste Birne im Topf, aber völlig okay. Ihr war klar, was sie getan hatte und sie wusste, dass sich das so nicht wiederholen darf.
Am Ende erhielt sie das volle Programm an Unterstützung um ihr Leben meistern zu können. Sie ist auf Bewährung und ab jetzt vorbestraft. Leicht wird es nicht für sie.

Das Opfer ist bis heute bewegungstechnisch eingeschränkt, hat zudem immer noch Schmerzen. Für sie gibt es kaum Hoffnung, dass ihr vom Gesetz aus, echte Unterstützung geboten wird. Kein Anspruch auf Entschädigung (die Täterin war zum Zeitpunkt der Tat nicht zurechnungsfähig). Nix.
Da sieht man dann schon, wo es Lücken gibt. Das schmerzt auch richtig.

Solche Dinge sind unerwartet und nicht leicht zu verkraften, wie ich meine. Es zeigt sich, dass auch in einem sehr sozialen Staat noch Einiges auszubessern wäre. Sicherheit gibt es niemals in vollem Umfang. Ich möchte an dieser Stelle hinweisen, dass die Staatsanwältin dem Opfer noch Tipps gegeben hat, an wen sie sich möglicherweise noch wenden könnte. Es ist also nicht so, dass die Frau dem Staat wurscht ist. Ein Gesetz, das sie beschützt gibt es aber nicht.

 

 

 

In meinem bisher dritten Fall ging es um Krida. Da hat jemand, der Spielschulden hat, der eigenen Firma Geld weggenommen. Zudem hat er, weil dann das Geld nicht mehr reichte, die Sozialversicherungsbeiträge für seine Angestellten nicht bezahlt. Der Typ hat sich gewunden und gedreht bei seiner Befragung. Es war ihm sichtlich peinlich.

Und mir fällt es schwer so etwas mitansehen zu müssen. Da will ich lieber wegschauen, weggehen. Darf man aber nicht. Das hat mir schon was abverlangt. Nicht das ich feig wäre. Ich mag es halt nicht, wenn sich Menschen unwohl fühlen, wenn sie kriechen und ängstlich sind. Das hat was von Gewalt. Und jetzt wo ich das so schreibe, komme ich zu dem Schluß, dass es das auch ist: die Staatsgewalt.
Der Mann wand sich vor dem Gesetz. Unserem Gesetz, unseren Regeln, die er gebrochen hatte. Und jetzt wollte er lieber nicht in den Spiegel schauen. Aber genau das war der Sinn der Verhandlung. Der Spiegel war unausweichlich.
Das Zuschauen macht das aber nicht leichter.

Schöffe

Dem Richter ist das eher egal. Der ist abgebrüht, sieht sowas vermutlich ständig. Und insofern ist es dann wohl auch gut, wenn ihm normale Leute beiseite stehen. Zum Ausgleich.

Apropos Richter:

Ganz allgemein ist schon auffallend mit welcher Routine, mit welcher NonChalance gewisse Episoden in so einer Verhandlung runtergerattert werden. Von fast allen Profi-Anwesenden. Die Anklage wurde (in den Verhandlungen, denen ich bisher beiwohnte) derart schnell verlesen, dass ich nichts, ich wiederhole nichts verstanden habe. Und ich halte mich für wiff und schnell.
Aber das. Keine Chance. Diese Mischung aus juristischem Fachgesimple und High-Speed-Dubbing. Schwer beeindruckend!
 

Und auch sonst. Die Reden sind lausig, werden runtergeratscht und die Musik fehlt auch. Völlig ohne Dramaturgie das Ganze. Charmebefreitheit als Lebenseinstellung. Dazu diese Polyestermäntelchen, die der Richter und die Staatsanwälte zu tragen haben. Schon skurril.
Und dann noch die Kälte. Und zwar wirklich. Es ist Pandemie, die Verhandlungen müssen stattfinden. Egal ob geimpft, getestet oder Superspreader. Die Leute haben das Recht auf eine Verhandlung. Die Justiz ruht auch in einer Pandemie nicht ein bißchen. Der Schutz für Anwesende beläuft sich auf FFP2 Masken und offene Fenster. Wir haben mittlerweile Dezember. Ich ziehe mich warm an, wenn ich zu Gericht gehe.

Und das bezieht sich nicht nur auf meine Seele.

Hier für euch der 1. Teil meines Beitrages