The racism isn’t getting worse, it’s getting filmed – Traue dem, was du siehst!

Derek Chauvin wurde schuldig gesprochen. In allen drei Anklagepunkten. Ist das der Wendepunkt?
Das liest man zur Zeit überall. Die Leute weinen in den Straßen, die Hoffnung lebt.

Was bedeutet das?

Ich gebe euch eine Interpretation von all dem, was ich dazu gelesen und gehört habe.

Dazu ein paar Infos:
Jedes Jahr seit Jahrzehnten schon töten Polizisten in den USA Civilsten. So um die 1.000 Menschen jedes Jahr. Die Zahl ist erstaunlich konstant. 30% davon sind Schwarz. Das wirkt  zunächst für viele dann doch irgendwie nicht so dramatisch. Allerdings liegt der Bevölkerungsanteil der Schwarzen bei etwa 16%. Das lässt aufhorchen!

Der Anteil der Polizisten, die dafür zur Verantwortung gezogen werden, ist erschütternd niedrig. Die Zahl der von einem Gericht Verurteilten, liegt so um die 40 … in die letzten 30 Jahren.

Die Anspannung um den Derek Chauvin Fall war also genau deswegen so groß. Weil die Bevölkerung befürchten musste, dass auch dieser Polizist davonkommen würde. Zu oft hatten sie es erlebt. Es gab bereits ähnliche Fälle und deren Täter laufen völlig unbescholten durch die Gegend.
Die Erleichterung und die Tränen galten wohl zu einem beträchtlichen Teil eben der Tatsache, dass es diesmal Gerechtigkeit gibt.
Die Tränen galten mit Sicherheit aber auch der Tatsache, dass es keinen Aufstand geben muss. Denn, so stimmen alle Medien überein, den hätte es gegeben. Es wäre wild geworden. George Floyds Täter darf nicht davonkommen.

Aber warum hat es diesmal mit einer Verurteilung geklappt? Mr. Floyd war nicht der erste Schwarze, der unter dem Knie eines weißen Polizisten erstickt ist. Warum dieses mal?
Nun, es ist tatsächlich so, wie es Will Smith schon vor Jahren der Welt erklärt hat: „Racism isn’t getting worse, it’s getting filmed!“ (Der Rassismus ist nicht schlimmer geworden, er wird jetzt nur gefilmt!“
Das bedeutet wohl, dass sich die USA das erste mal in ihrer Geschichte wirklich hinsetzen und über den Rassismus in ihrem Land reden. (Sie fangen quasi gerade an den Abzess aufzuschneiden. Es wird, so weiter Will Smith; immer erst mal grauslich und duster, bevor es besser werden kann. )

Der Fall George Floyd und eben all die anderen Fälle, die in den Monaten davor und danach geschehen sind, sorgten dafür, dass auch der Teil der Bevölkerung, der für gewöhnlich mit derlei Gewaltakten, nicht viel Kontakt hat, davon erfährt. Und die Bilder, die Filme, die sie zu sehen bekamen, sprachen eine eindeutige Sprache. Sie sind schonungslos. Jeder Mensch mit ein bißchen Hausverstand und Anstand kann erkennen, dass diese Taten vermeidbar gewesen wären. Dass völlig unnötig Leben beendet wurden. Und die Tatsache, dass am Opfer-Ende meist ein Schwarzer Mann (auch mal eine Schwarze Frau) und am Täter-Ende eben ein weißer Polizist steht, spricht Bände.

Das ganze Land – die ganze Welt – kann das sehen. Und wir alle üben uns gerade darin, auch zu glauben, was wir sehen. In einer Welt in der das Spinnen und verdrehen von Tatsachen, das „Es ist nicht so wie es aussieht!“, zur hoh(l)en Kunst der Medienpolitik gehört, sprechen diese Bilder Bände und direkt mit jedem Einzelnen.

Fakten sind am Ende eben doch stärker.
Das ist, was passiert ist.

Darnella Frazier, zum Zeitpunkt des Geschehens 17 Jahre jung, hat mit ihrem Video ein Zeitdokument geschaffen. Sie ging nach Hause und stellte es augenblicklich online. For the world to see. Das war ihre Waffe. Während des Geschehens konnte sie nicht wirklich einschreiten. George retten. Zu groß war die Gefahr, dass sie selber zum Opfer werden würde. Vor Gericht hat sie geweint, sie erzählte, dass sie abends vor dem Schlafengehen Mr. Floyd um Verzeihung bittet, weil sie nicht verhindert hat, dass Mr. Chauvin ihn tötete. Und sie war nicht die Einzige, die von derart Selbstvorwürfen geplagt wird.
Ein erdrückendes Statement. Es zeigt die Ohnmacht der Schwarzen gegenüber ihrer eigenen Polizei. Es war schmerzhaft und gleichzeitig sehr gut, dass die Bürger dieses Landes all das einmal zu sehen und hören bekamen. Wieder mal vermutlich.

Wird dieser Fall das Blatt wenden?
Es ist zu früh, diese Frage zu beantworten. Der Fall könnte der Anfang sein. Der Weg ist aber lang.
Der zweite Teil des Dramas wird die Verhandlung gegen die 3 anderen anwesenden Polizisten sein, die NICHT eingeschritten sind, als ihr Kollege das Leben eines Bürgers beendete.

Das alles geschieht in einem Land, das auf der einen Seite bereit ist all die alten Wunden aufzureißen, zu reinigen und den Rassismus, die Geschichte der Sklaverei endlich aus der Gesellschaft herauszuschneiden währenddessen auf der anderen Seite des Spektrums die Lügen um die gestohlene Wahl von gewählten Repräsentanten weiter angeheizt werden und die Wahlgesetze einen rassistisch motivierten Feinschliff erhalten, damit die Macht in den Händen der weißen Männer bleibt.

Wäre es ein Buch frau würde meinen die Dramaturgie scheint schon ein wenig überspitzt.

Anmerkung:

Ich habe viele Artikel gelesen, die Berichterstattung zum Prozess von Derek Chauvin ziemlich genau verfolgt und stundenlang Podcast zu mit dem Thema verknüpften Inhalten gehört, aber ich habe NICHT das Video gesehen, in dem George Floyd getötet wird. Ich möchte das hier nur dazuschreiben, damit ihr euch nicht belogen fühlt. Ich meine, dass ich es journalistisch wohl schauen müsste, wenn ich darüber schreibe. Menschlich, weiß ich, dass es mich verletzen würde. Ich habe mich entschlossen meinen Beitrag für Mr. Floyd hier zu leisten, indem ich euch in mehreren Beiträgen erläutere, wie es soweit kommen konnte. Dies ist Teil 1.