XX vs. XY: Von Dingen, die nie wahr waren, die wir halt nicht besser wußten und die jetzt irgendwie für Alle ein Stück weit richtig schwer zu verdauen sind.

Nun, ich nehme mal an, dass, als die Menschheit zu erkennen hatte, dass die Erde eine Kugel und doch keine Scheibe war, hat es auch ein bissi gedauert, bis das Alle kapiert hatten. Ich meine, schaut euch mal um, es gibt sie ja heute noch, die, die damit Schwierigkeiten haben. Dabei sagt einem der Hausverstand, dass diese Scheibe mittlerweile leer-runtergeschubbst wäre und oben säße eine ziemlich entspannte Katze.
Okay, Scherz beiseite.

Ich habe neulich etwas gelernt, das wir (die Menschheit) wohl schon ein Weilchen wissen und das sich auch inhaltlich logisch präsentiert und das wirklich für schwer zu verdauen sein wird.

Ich rede von den – so wie ich es noch gelernt habe zwei – Geschlechtern.

Womit wir schon an die erste Grenze stoßen: „Geschlecht“.
Im Englischen gibt es ein Wort für das „biologische Geschlecht“, das wäre dann das Wort „Se.x“ und ein Wort für das „soziale Geschlecht“, „Gender“. Und das ist durchaus sinnvoll so. Im Deutschen gibt es nur das Wort Geschlecht. Und aus. Wobei Gender und Se.x keineswegs übereinstimmen müssen. Das kann man im Deutschen nicht mal simpel aussprechen.

Okay, ich sehe schon, ich muss euch da ein bissi in die Details einführen.
Festhalten. Es geht los.

Grundsätzlich gehen wir ja davon aus, dass es eine genetische Information gibt, die unser Geschlecht festlegt. Wir reden hier vom 23. Chromosomenpaar, das entweder ein XX oder ein XY Paar sein soll. So die 50er Jahre.

Dazu passend, wenn es danach geht, gibt es dann die am Körper erkennbaren Geschlechtsmerkmale. Davon gibt es primäre und sekundäre. Ihr wisst schon: Vulva, Vagina, Eierstöcke und Uterus. Sowie auf der „anderen Seite“ Hoden, Nebenhoden, Samenleiter und Penis. Sowie sekundär dann: Brust, Bartwuchs, derlei …
Und laut Adam Riese Schulunterricht von damals stehen all diese Merkmale in eine sinnvollen Zusammenhang. Sprich, wenn du XX, dann Uterus, Vagina, Vulva und dazu Brüste.

Und genau das, so weiß man mittlerweile, kann man so nicht für jeden Menschen zusammenfassen.

Fangen wir vorne an:
Ei und Spermium sind Keimzellen. Sie unterscheiden sich von allen anderen Zellen im Körper dadurch, dass sie nur den halben Chromosomensatz in sich tragen. 23 anstatt 46. Ich sage das nur für den Fall, dass ihr euch da gerade nicht ganz firm seid. Solljamalvorkommen.

Dieses Halbieren des Chromosomensatzes findet aber nicht einfach so statt. Ein Chromosom ins Schüsselchen A und das Doppelte dazu dann in Schüsselchen B usw. usf. Neinneinneinneinnein. So nicht, meine Lieben.
Im Zuge der Erstellung der Keimzellen kommt es zu einer Rekombination des Erbguts und später dann bei der Befruchtung dann noch einmal. Soll heißen da werden Stücke Chromosom – und auf denen liegen ja die Gene – getauscht. „He Du, Chromosom 13! Ich bin auch ein 13. Willst du vielleicht ein Stücki mit mir tauschen? Ich gebe dir auch von mir. Was meinst? JA! Gut! Hier hast du! Danke sehr vielmals. Das war ein Spaß!“
Deswegen sehen wir alle unterschiedlich aus und ähneln einander trotzdem noch. Ich gehe da nicht näher drauf ein. Da gibt’s Bücher drüber. Hier ist jetzt nur wichtig zu wissen, dass durch diesen Austausch Dinge passieren können bzw. Dinge passieren, die dazu führen, dass XX nicht gleich weiblich heißt bzw. XY nicht gleich männlich. Und zwar gar nicht so selten wie man das an sich so denken mag (bzw. gelernt hat).

Ausgangspunkt.
Wir haben also ein befruchtetes Ei vor uns. Eine junge Schwangerschaft. Vorab, da ist sich die Wissenschaft einig, ist das Menschliche weiblich. Die Basisausstattung Mensch ist das XX. Läßt man den Dingen ihren Lauf ohne irgendwie reinzupfuschen, dann entsteht aus einem Embryo ein weiblicher Mensch.

Adam ist aus der Rippe der Eva entstanden.

Auftritt Y-Chromosom.
Das Y-Chromosom, auch da ist man sich einig, war mal ein X. Es hat sich reduziert und scheint sich auch noch weiter zu reduzieren. Auf dem Y-Chromosom liegt, so habe ich das jetzt verstanden, am Ende nur ein wirklich relevantes Gen. Dieses Gen heißt SRY. In der 7. Woche der Schwangerschaft schaltet es sich ein und läßt die Zellen ein Protein bauen, das wiederum die Entwicklung von Hoden auslöst. Diese fangen dann an Testosteron zu produzieren wodurch weitere Gene aktiviert werden, die eben nur aktiviert werden, wenn ein Mann am Plan steht. Diese Gene liegen im Übrigen dann auf dem X-Chromosom.

Soll heißen: der Startschuß zum Mann erfolgt durch dieses eine Gen auf dem Y-Chromosom. Danach spielen allerlei andere Genen weiter eine Rolle in der Ausdifferenzierung des Geschlechts, aber ohne das SRY fängt der ganze Zirkus eben gar nicht an.

Womit wir beim Thema wären: Durch die Rekombination des Erbguts kann es passieren, dass dieses Gen einfach, wie sagen wir es, wegkombiniert wird. Futsch! Einfach weg! Der Embryo besitzt dann auf seinem Y-Chromosom kein SRY und in weiterer Folge passiert in Woche 7 … nichts. Und wenn nichts passiert, dann läuft das Basisprogramm ab. Und das ist, wie bereits erwähnt, weiblich. D.h. je nachdem ob dann doch irgendein anderes Gen noch reinhüpfen versucht, reden wir hier von einem Menschen mit Vulva, Vagina und eben durchaus auch Eierstöcken, Brüsten. Das ganze weibliche Programm.
Nur, dass dieser Mensch ein XY-Chromosomenpaar besitzt.

Andersrum kann es passieren, dass durch die Rekombination das SRY auf einem X-Chromosom zu liegen kommt. Und das ganze Spiel läuft dann in die verkehrte Richtung ab und am Ende steht ein Mann mit Penis und Bart, der XX-Chromosomen besitzt.

Und weil die Natur gerne 100 Wege geht anstatt nur einen, kann es auch passieren, dass jenes SRY Gen auf dem Y-Chromosom loslegt, Hoden angelegt werden, diese dann Testosteron produzieren, diese Person aber keine Rezeptoren für Testosteron entwickelt. (Das Testosteron kann dann nicht vom Blut in die Zellen gelangen, wo es seine Wirkung entfalten würde). Sprich, wir haben ein XY Chromosomensatz, Testosteron im Blut, aber weil dieses Testosteron nicht so „arbeiten“ kann, wie es soll, entwickelt sich … ja genau, jemand der optisch eine etwas hart wirkende Frau ist.

Löst euch von dem Gedanken, dass das eine Frau ist oder ein Mann. Diese Person weißt Merkmale von beiden Geschlechtern auf.
Und jetzt kommt’s: diese Person mag sich dann aber als Frau verstehen. (Scheint häufiger der Fall zu sein. Bin mir da nicht sicher. Tut auch nichts zur Sache.)

Und unsere Gesellschaft hat keinerlei wie auch immer geartetes Schema damit umzugehen.

Als die Trump Regierung angetrieben von ihrem Kampf gegen Transfrauen, festlegen wollte, dass es nur zwei Geschlechter gibt, haben sie eine Kommission erstellt, gleich zu Beginn der Amtszeit, die in ein, ich nehme mal an Gesetz, gießen sollte, dass nur eine Frau ist, wer XX-Chromosomen besitzt und die dazugehörigen weiblichen Geschlechtsmerkmale.
Ich meine gelesen zu haben, dass sie zwei Jahre lang versucht haben eine Definition der – für sie – 2 Geschlechter zu erstellen. Nur um erkennen zu müssen, dass es nicht geht.
Eine Vulva macht keine Frau, denn sie kann XY sein. XX macht keine Frau, weil sie kann einen Penis haben und und und. Die Chromosomen sind keine zuverlässige Identifizierungsquelle, ebensowenig Testosteron im Blut und auf die inneren und äußeren Geschlechtsmerkmalen will ich mich gar nicht erst einlassen. Das ist schlicht ein Roulette-Spiel, wenn man sich da in die Materie reinliest.

Wisst ihr worauf sie sich geeinigt haben?
Am Ende gilt was auf der Geburtsurkunde steht, sprich, was der Doktor bei der Geburt meint, dass er da sieht. Punkt. Wohlwissend, dass das keine fixe Aussagekraft hat. Denn es gibt Hoden, die so klein sind, dass sie wie eine leicht vergrößerte Vulva aussehen und vergrößerte Vulven, die wie mäßig ausgeprägte Hoden aussehen. Alles, weil sich die Natur da mit der Sache spielt. Sie haben vor der Komplexität der Sache kapituliert. Ein Armutszeugnis.

So.
Jetzt möchte ich noch einmal, weil mir das so offensichtlich erscheint und weil’s einfach ein Thema ist, darauf hinweisen, dass wir nicht nur nach damaligem Stand der Wissenschaft unterrichtet wurden und danach nie wieder, wir also vom Wissen her irgendwo in den 50ern hocken, nein, ich will vor allem darauf hinweisen, dass, selbst, wenn man sich damit auseinandersetzen möchte, die Sprache keinerlei Spielraum dafür bietet.
Im Zuge des Niederschreibens habe ich mehr als einmal um-die-Sache-herumschreiben müssen. Weil es in der Sprache nur Mann und Frau gibt. Und was es in der Sprache nicht gibt, gibt es auch im Kopf nicht. Durchaus einer der Gründe, warum es einem so schwer fällt, die ganze Angelegenheit zu verarbeiten. Wir können zu diesem Thema nur in Weiblein/Männlein denken.
Und das, wo das offensichtlich die Situation nur sehr mangelhaft umschreibt. Wir stehen quasi mit am Rücken gebundenen Händen vor einer an sich eh schon eher komplexen Aufgabe, wir können aber unsere Hände nicht benutzen.

Man stelle sich vor es gäbe das Wort Kugel nicht.

das ist der Punkt, an dem wir sind

Ich hab’ dieses Thema ein bissi sickern lassen, durch mein bescheidenes Hirn und meine erprobte Gefühlswelt und ich komme zu dem Schluß, dass man die Menschen so benennen sollte, wie SIE SICH FÜHLEN.
Sollen sie halt mit 15 und dann vielleicht später noch einmal Angaben machen KÖNNEN. Es ist doch – also eigentlich – vor dem Gesetz völlig wurscht ob jemand da oder dort daheim ist.
Und abseits des Gesetzes .. naja, geht es niemanden was an.

Am Ende will ich jetzt noch kurz klarstellen, dass ich zwei, drei Beispiele gebracht habe, in denen sich Chromosomen und Geschlechtsmerkmale nicht, in unserem alten Sinne, schlüssig zusammenfügen. Es gibt aber sehr viel mehr Möglichkeiten für ein Durcheinander und die Übergänge sind geradezu in allen Farben möglich.

Denkt mal drüber nach.
Schafft ihr es aus dem zwei Möglichkeiten-Konzept rauszudenken? Ist gar nicht so einfach. Ich habe es jetzt zumindest verstanden und gebe mir Zeit das zu verdauen. Es nervt mich aber, dass da eine beträchtliche sprachliche Barriere vor mir steht …

Quellen:
The Guardian Podcast Science Weekly: The Y chromosome has finally been sequenced: here’s why it matters – hochinteressant
FOCUS online: Verwirrung um XX
FOCUS online: Das Geheimnis der XY Frauen
Wikipedia: XY Frauen
YouTube Dr. Ben: „XX Male“ and „XY Female“ aka Swyer Syndrome (Differences in Sexual Development)
Studyflix.de: Meiose
Stern: So entstehen Männer, Frauen und alles dazwischen