Von der Philosophie einer Baustelle!

Confirmation Bias oder Bestätigungsfehler, das ist, was ich zur Zeit durch eine Baustelle in meinem näheren Umfeld vorgeführt bekomme. Und weil ich weiß, dass ihr gerne denkangeschubbst werdet, teile ich das mit euch.

Ich bin ein das-Glas-ist-halbvoll-Mensch. Ich habe mich aktiv irgendwann dazu entschlossen. Mein Hauptbewegungsgrund ist wohl der, dass, wenn ich alles immer negativ sehe, mein Leben .. nicht so bunt und gutgelaunt ist. Sprich: es geht mir mit „Halbvoll“ eindeutig besser. Davon bin ich überzeugt. War ich schon vorher. Ich sehe keinen Sinn darin, mein kurzes, wertvolles Leben auch noch aktiv schwarz zu reden. Das Leben selber ist ja oft schon hart genug. Es teilt einem eh immer wieder den Schwarzen Peter aus und … naja, das reicht mir an bitter und böse. Ich muss es nicht noch aktiv bei jeder Gelegenheit runterdrücken.
Das hat was Ungesundes.

Ja, ich finde auch, das sieht aus wie Legobausteine rund um einen Gigantosandhaufen.

Sehr viele Menschen allerdings sind äußerst negativ. Das geht so weit, dass sie in allem etwas Negatives sehen, selbst, wenn es eigentlich super ist. Beispiel: Das Schnitzel schmeckt traumhaft, ein Jahrhundertschnitzel, so lecker, so perfekt .. und der Salat auch .. einfach superduper … und dann kannst du die Sekunden zählen bis es kommt, das Negative … Der Preis, der Kellner, der Sitzplatz in der Sonne/im Schatten… was auch immer.
Aber wie das Amen im Gebet kommt der negative Nachsatz. JEDESMAL!

Der Handwerker hat super Arbeit geleistet, aber er war nicht pünktlich. Das Wetter ist zwar schön, aber der Wind stört. Die neue Kollegin ist nett, aber hast du gesehen, was für Musik sie hört?
Ich könnte stundenlang Beispiele aufzählen. Grund ist die an sich schon vorher negative Einstellung gegenüber dem Handwerker, der Kollegin ja genau selbst dem Wetter. Und dann passiert irgendwas, die kleinste Kleinigkeit, die nicht superduper ist und das bestätigt dann die vorher schon schlechte Meinung.

Man nennt das den Bestätigungsfehler. (confirmation bias). Das ist ein Begriff der Kognitionspsychologie, der die Neigung bezeichnet, Informationen so zu ermitteln, auszuwählen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen (bestätigen).
Sprich (überzogenes Beispiel): du glaubst, Blondinen sind dumm. Du wirst demnach stets, wenn eine Frau, die blondes Haar hat und etwas nicht 100% Gescheites sagt, daran denken, dass das ja darauf zurückzuführen ist, dass sie blond ist. Sagt eine dunkelhaarige Frau oder gar ein Mann etwas Dummes, bemerkst du das womöglich nicht einmal.
Dadurch, dass du es bei den Blondinen aber jedesmal bemerkst, verstärkt das deinen Glauben daran. Du bist dir sicher: dein Vorurteil ist gar keines. Es stimmt einfach!

Eine Brücke hatten wir noch nicht.

Das funktioniert auch mit Ausländern, die man für faul hält. Oder mit jungen Leuten, die alle nur Teilzeit arbeiten wollen und auch mit alten Leuten, die alle rechts wählen. Es funktioniert mit „dienstags finde ich keinen Parkplatz“ und auch mit „blau steht mir nicht“.
Sucht es euch aus.

Das Absurde daran ist, dass dieses Verhalten einen in die Ecke drängt. Wenn ich etwas Schlechtes über Menschen glaube, dann werde ich mit der Zeit in diesem Glauben immer radikaler. Das ist zwar zutiefst menschlich, aber nicht sehr hilfreich in einem Leben mit .. naja ein paar Milliarden anderen Menschen, die man .. ganz ehrlich .. alle nicht kennt.

Man macht sich, wenn man sich so dahinfehlbestätigt das Leben unnötig schwer.
Deutlich zu sehen jetzt bei der Baustelle, die gerade hier in meinem Bezirk die Welt auf den Kopf stellt.

zusammengefasste Fakten rund um die Baustelle:
Auf der Wiedner Hauptstraße fahren ein paar Bims. Wie mir schon seit Jahren auffällt, fuhren sie die letzte Zeit über etwa 1km lang geradzu provokant langsam. Ich hatte mich schon oft gefragt, warum das so ist. Überall sonst, ist so eine Bim durchaus mit Tempo unterwegs. Nicht bei uns. Bei uns kannst du sie zu Fuß überholen.

Und dann kam die Info.
Die Schienen sind hin. Eine Bim war sogar mal entgleist und deswegen muss seither langsam gefahren werden.
Über kurz oder lang, war somit klar: die Schienen müssen über eine Strecke von fast 2km getauscht werden. Also nicht nur ein Satz Schienen, der mal eben in einer nächtlichen Aktion rausgenommen und durch funktionierende, neue Teile ersetzt wird, nein, es ist notwendig die gesamte Strecke zu erneuern.
Und weil die Stadt da gleich groß denkt, wenn sich so eine Operation am offenen Herzen ankündigt, waren halt gleich alle dran: Was liegt da unter der Straße an Rohren und Leitungen, was in den kommenden Jahren womöglich ersetzt werden muss und was halt jetzt g’scheit wäre gleich mitzumachen.
Wasser, Strom etc.

Und wenn wir schon dabei sind, alles aufzureißen, fragen wir doch die Leute, was sie gerne hätten. Machma eine Befragung! Horchmamal, was sie so sagen!
Vielleicht kann man das ganze Durcheinander gleich für eine Anpassung nutzen .. so im Sinne der Zukunft.

So in etwa haben sie wohl gedacht. Und jetzt ist da diese Baustelle. Für Monate wird sie da sein. Man kann über Wochen die gewohnten Wege nicht fahren. Man muss immer rundherum. Bim gibt’s keine – eh klar. Die Parkplätze auf der Straße werden von Baumaterial belagert.
Ein Prachtgelegenheit für einen Bestätigung im Sinne von: Baustellen bringen mir einen Nachteil!

Wie ihr wohl schon festgestellt habt, finde ich das ganze Baugestelle eher interessant. Als geübte „halbvoll“ Person, sehe ich keinen Sinn darin mich über etwas aufzuregen, das ich nicht ändern kann. Noch dazu, wenn es tatsächlich einigermaßen Sinn macht.
Ich habe kurz darüber nachgedacht, was die Baustelle in diesem Jahr für mich bedeutet (nämlich, dass keine Bim fahrt und ich jetzt deutlich weiter gehen muss um in diesselbe zu steigen .. und ja, das ist ein Aufwand und das kostet Zeit) um dann festzustellen, dass die mich betreffenden Aspekte zwar kein Grund zum Jubeln sind, dass ich aber für einen begrenzten Zeitraum verhältnismäßig einfach damit klarkommen werde.

Und Punkt.

Nicht so ein Großteil meiner Umgebung. Es wird gejammert. Die Baustelle problemt hier und die Baustelle problemt da. Und ganz besonders leidet dann immer die Person, die mich gerade zujammert. Bitteschön niemand von denen ist in seiner Existenz bedroht. Alles Leute mit ausreichend Geld und Möglichkeiten (meist eh schon von der Stadt gestellt) die Hindernisse zu umgehen/zu umfahren.

Und ihre Conclusio ist dann meist sowas wie: die Politik ist nur schlecht. Alle sind gegen meine Interessen .. etc.
Sehr viel Selbstmitleid. Wenig reifes Erwachsensein. Denn .. ich meine .. wir reden von einer notwendigen Baustelle.

Und ich meine ja, dass die Meisten zu ihrer mittlerweile recht kurios negativen Welteinstellung dadurch gelangt sind, indem sie immer nach den Fehlern suchen. Dann in weiterer Folge immer nur die Fehler sehen und am Ende den Glauben an die Welt und die Menschen verlieren.
Mal abgesehen, dass verzweifelte, unglückliche Menschen leichter zu manipulieren sind, so scheint es doch furchtbar traurig, dass so viele Menschen ihr Leben so wegwerfen, sich so runterziehen lassen.

Ist derartiges Verhalten und Denken nicht eine Verschwendung von Lebenszeit.
Ich sehe schon und weiß, dass man manchmal den Schwarzen Peter in die Hand gedrückt kriegt und dann geht’s einem halt eine Weile bescheiden.
Aber, wenn niemand gestorben ist, niemand krank ist, der Job immer noch da ist etc. … warum bitte, will man sich die paar Jahre, die wir leben dürfen, aktiv selber versauen.

Leuchtet mir micht ein!
Finde ich schade.
Als einigermaßen gesunder Mensch möchte ich dem für mich entgegentreten.

Ich will mein kurzes Leben in einem für meine Umwelt einigermaßen verträglichen Ausmaß genießen. Ich will frei sein und fröhlich. So in etwa.

Man kein seine eigenen Bestätigungsfehler, das eigene eingeübte Fehldenken übrigens abtrainieren. Ist nicht wirklich anstrengender als Rückenmuskulatur aufbauen.
Zum Üben eignet sich eine anfangs lästige Baustelle vortrefflich. Indem man sich zunächst mal selber anmogelt und jedesmal, wenn man zur Baustelle kommt so etwas sagt wie: Ich mag Baustellen! Das ist am Anfang vielleicht schräg, funktioniert über die Zeit aber tatsächlich.
Dann sucht man sich jedes mal etwas Neues heraus, das irgendwie schräg ist oder interessant oder beeindruckend. Ich, für meinen Teil, mag es, ungewöhnliche Sachen hervorzuheben. Gigantische Sandberge, die eine komplette Bimstation einnehmen 20m lang und 3m hoch (siehe Legobausteinebild weiter oben). Jemand anderer steht sich’s womöglich auf Baustellenfahrzeuge. Da gibt’s schon eigenartige Gewächse, die dann plötzlich vor der Türe stehen. Wieder Andere mögen vielleicht die Plakate, die die Stadt zur moralischen Unterstützung rund um die Baustelle platziert.
So fangt man an.

Und irgendwann sieht man dann den Migrationspapa, der die rosa Schultasche der Tochter trägt und von dem kleinen Zwerg an der Hand dauerniedergequasselt wird (so gesehen) oder die Oma, die plauschend mit einer Freundin im Park sitzt, ein gebatiktes Peace-Shirt trägt und einen Joint raucht (so gesehen) oder den ehemaligen Bundeskanzler im Slimfit Anzug (nicht der kurze bitteschön, der kernige) auf einem e-Roller, wie im das kurze Haar im Fahrtwind weht.

Negative Bestätigungsfehler helfen nur den Radikalen, einem selber eher nicht so.

Es tut mir leid. Ich finde diesen Beitrag lang nicht so eloquent, wie ich ihn gerne hätte. Noch bin ich offensichtlich keine echte Philosophin. Aber ich weiß jetzt schon ganz sicher, dass man ein besseres Leben hat, wenn man sich auf die guten Dinge konzentriert und die schlechten meistert, wenn sie vor einem stehen. Die gehören eben auch dazu.
Ohne Finsternis kein Licht.